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Berliner Theatertreffen: Was gab’s denn da zu glotzen?
Vorhang auf, Vorhang zu: Eine beglückende 61. Ausgabe des Berliner Theatertreffens geht zu Ende
Es ist ja eigentlich unstrittig: Das Berliner Theatertreffen ist das wichtigste Ereignis für die Schauspielkunst im deutschsprachigen Raum. Einmal im Jahr gastieren zehn von einer unabhängigen Jury als bemerkenswert befundene Inszenierungen in der Hauptstadt.
Gestritten wird dann aber doch. Welche blinden Flecken hat es dieses Mal gegeben? Und warum ausgerechnet ist jenes Stück dabei? Und sieht man hier nicht überhaupt Jahr für Jahr immer dasselbe von immer denselben Bühnen?
Auch in diesem Jahr gab es ausreichend Diskussionsstoff. Weitestgehende Einigkeit herrschte bei den ausverkauften Vorstellungen darüber, dass die schon lange zur kranken Großmutter erklärte darstellende Kunst im Haus der Berliner Festspiele (wie auch den anderen Spielstätten) doch ziemlich lebendig daherkommt.
Es war eine besonders starke Inszenierungsauswahl in diesem Jahr. Sie beweist auch, dass wieder einige Ausnahmedarsteller die Bühnen regieren. Ihre Namen sind Dimitrij Schaad und Joachim Meyerhoff, Valery Tscheplanowa und Almut Zilcher sowie, ohne jeden Zweifel, Lina Beckmann.
Wunden zeigen
Ziemlich düster wirkte das Theatertreffen, zumindest in seiner ersten Woche. Eröffnet wurde das Festival mit einer Inszenierung von Lessings »Nathan der Weise« (Salzburger Festspiele, Regie: Ulrich Rasche), einem Drama, das doch eigentlich Hell ins Dunkel bringen soll.
Aber Rasche schont das Publikum nicht, stellt der Predigt von Toleranz Texte von den großen Aufklärern der Philosophie entgegen, die deren Antisemitismus offenlegen. Leider bleibt der Theaterabend aber nur Produkt der formalistischen Arbeitsweise des Regisseurs: Der Drehbühnendauereinsatz zwingt die Darsteller zum seitlich schreitenden Dauermarsch; martialische Chöre beherrschen die Szene; viel Nebel zu einem pausenlosen Klangteppich tut sein Übriges. Trotz einiger starker Bilder fühlt man sich bald als Opfer einer Masche.
Behutsamer geht »The Silence« (Schaubühne Berlin, Regie: Falk Richter) vor. Der Soloabend ist eine Beschäftigung des Autor-Regisseurs Falk Richter mit seinem Aufwachsen als schwuler junger Mann in der westdeutschen Provinz, in der der Krieg noch Schatten wirft. Ohne Übertreibung wird hier alltägliche Gewalt sehr plastisch. Nicht der Schockmoment steht im Mittelpunkt, sondern der genaue Blick auf den ganz normalen bundesrepublikanischen Wahnsinn.
»Extra Life« (internationale Koproduktion, Regie: Gisèle Vienne) war für nicht wenige Zuschauer eine Überraschung, hat sich das Theatertreffen doch dem Sprechtheater verschrieben. Was wir hier zu sehen bekommen, ist allerdings ein spracharmes Hybrid aus Tanz und Performance. Überaus feinfühlig bringen zwei Darsteller die Geschichte eines sexuellen Missbrauchs auf die Bühne und arbeiten sie mit ihrem Schweigen und Aushalten, mit Musik und Tanz durch. So eindringlich und noch über Tage nachwirkend gerät Theater nur selten.
Die Kunst dem Volke
Bei »Riesenhaft in Mittelerde« (Schaupielhaus Zürich, Regie: Nicolas Stemann/Stephan Stock/Florian Loycke/Der Cora Frost), so hat es die Jury versprochen, würden sowohl Tolkien-Expert*innen als auch Hochkultur-Nerds auf ihre Kosten kommen. Als niedrigschwelliges Theaterangebot wurde die Inszenierung teilweise gefeiert. Dabei sieht man hier lediglich, wie ein großes Ensemble sich mit viel Aufwand einiger Blödelei hingibt. Im zwanghaft ironischen Ton wird dem Publikum im Schnelldurchlauf die Geschichte des Fantasy-Klassikers »Der Herr der Ringe« nacherzählt, eine Maskulinismuskritik auf niedrigem Niveau eingeschlossen. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass wieder einmal eine Theatertreffen-Einladung genutzt worden ist, um ein kulturpolitisches Statement zu setzen. In diesem Fall gegen das Ende der Intendanz von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich.
Dass Stemann von mehreren Seiten in der Presse bereits als Kandidat für den Chefposten an der Berliner Volksbühne gehandelt wird, wirkt allerdings wie ein schlechter Witz. Das selbstverliebte Spiel, bei dem mit lautem Ton viele Worte gemacht werden, man aber doch nichts ernsthaft erzählen will, ist nicht die Strategie für das Volkstheater des 21. Jahrhunderts.
Mit der vermeintlich leicht zugänglichen Form des Musicals wartet »Bucket List« (Schaubühne Berlin, Regie: Yael Ronen) auf. Die Inszenierung ist unter Eindruck des Hamas-Terrors am 7. Oktober 2023 entstanden. Auf musikalisch erstaunlich hohem Niveau ersingt sich das Ensemble mit Witz Strategien zur Traumabewältigung. Es ist ein Theaterabend, der die eigene Ratlosigkeit der Künstler produktiv machen will.
Viel eher kann man da bei antiken Stoffen fündig werden, wie sie der Dramatiker Roland Schimmelpfennig neu aufbereitet hat. »Laios« (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Regie: Karin Beier) heißt ein Soloabend mit der umwerfenden Lina Beckmann, die die Geschichte um den Vater des Ödipus aus der Vorzeit in die Gegenwart wirft, kraftvoll und mit doppeltem Boden erzählt, spielt, zeigt. Man ahnt, dass uns das Volkstheater der alten Griechen noch viel zu sagen hat – es muss nur so auf die Bühne gebracht werden, wie es Beckmann vermag.
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Kampf mit den Klassikern
Eine Klassikeraneignung, die weniger Jubel, eher Irritation hervorgerufen hat, ist Shakespeares »Macbeth« (Schauspielhaus Bochum, Regie: Johan Simons). Durchaus kühn wird die Tragödie auf ihr humoristisches Potenzial abgeklopft. Kein Klamauk ist zu sehen, aber doch eine vitale Beschäftigung mit dem Wahnsinn menschlicher Herrschaft. Dass nur drei Darsteller im stetigen Rollenwechsel durch die Handlung gleiten, verstärkt nur den Eindruck: Jeder, der heute Verräter ist auf dem Weg an die Macht, kann morgen schon ein Verratener sein. So mutig und eindrucksvoll hat man Shakespeare lange nicht auf der Bühne gesehen.
Tschechows Erstlingsdrama »Platonow«, hier unter dem alternativen Titel »Die Vaterlosen« (Münchner Kammerspiele, Regie: Jette Steckel), sehen wir gut in Form gebracht. Das etwas ausfransende Werk wurde zurechtgeschnürt und in einen kompakten, wenngleich immer noch dreieinhalbstündigen, klug in Szene gesetzten Abend überführt, in dem uns das Personal aus dem Russland des vorletzten Jahrhunderts sehr gegenwärtig erscheint.
Wo bleibt der Witz?
Mit »Übergewicht, unwichtig: Unform« (Staatstheater Nürnberg, Regie: Rieke Süßkow) wurde der Versuch unternommen, ein Werk des sprachverspielten und derb-deftigen Autors Werner Schwab zu reanimieren. Nicht leicht auszumachen, warum das nicht gelingen will. Die Regisseurin lässt ihr Ensemble auf der Bühne zu Puppen werden und adaptiert eine Comic-Ästhetik für das Theater (was so oder so ähnlich von wechselnden Regisseuren Jahr für Jahr beim Theatertreffen zu sehen ist), findet neben der eindrücklichen Bildsprache aber keinen Zugang zu dem humorvollen Text.
Auf klugen Witz zu warten braucht man allerdings nicht, wenn man »Die Hundekot-Attacke« (Theaterhaus Jena, Regie: Walter Bart) sieht. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit dem realen Scheißangriff eines ehemaligen Hannoveraner Ballettdirektors auf eine Tanzkritikerin, wird der Zuschauer zum Zeugen einer fingierten Stückentwicklung. Die Spieler verlesen ihren E-Mail-Wechsel auf dem Weg zu der Inszenierung. Der Prozess wird zum Kunstwerk deklariert. Dabei wird ohne Welterklärergestus viel über Kunst und Kritik, Gewalt und Öffentlichkeit erzählt. Vor allem aber ist diese Arbeit eine Liebeserklärung an das Theater. Vollkommen zurecht!, möchte man da jubeln. Besonders nach zweieinhalb Woche bilder- und ideensatten Theatertreffens.
Aufzeichnungen von drei zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen – »Bucket List«, »Laios« und »Macbeth« – sind in der 3Sat-Mediathek verfügbar: www.3sat.de/themen/theatertreffen-100.html
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