SPD will zurück ins Rote Rathaus

Auf dem Landesparteitag fordern die Sozialdemokraten mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl 2026 einen Mietendeckel und beschließen eine Parteireform

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
SPD-Landeschef Martin Hikel hat eine Vision und will damit nicht zum Arzt gehen: Berlin soll Vorbild sein für die Republik.
SPD-Landeschef Martin Hikel hat eine Vision und will damit nicht zum Arzt gehen: Berlin soll Vorbild sein für die Republik.

Wenn sie nicht als Berufspolitker üppige Einkommen und gute Kontakte haben, dann sind Sozialdemokraten auch nur Menschen, die unter der Wohnungsnot in Berlin leiden wie andere Einwohner der Hauptstadt auch. Zwei Delegierte berichten beim Landesparteitag am Samstag im Willy-Brandt-Haus von ihren persönlichen Erfahrungen: Eine junge Mutter, die mit ihrer Tochter und ihrem Partner beengt auf 65 Quadratmetern in einer Zwei-Raum-Wohnung lebt, sucht seit einem Jahr vergeblich ein neues Quartier mit Kinderzimmer. Dass beide Eltern Jobs mit sicherem Einkommen haben und bereit wären, mehr, als vernünftig wäre, für die Miete auszugeben, nützt ihnen nichts.

Eine andere Delegierte berichtet, sie habe vor neun Jahren als Studentin anfangs in Hotels geschlafen und beinahe aufgegeben und Berlin den Rücken gekehrt. Mit Glück habe sie dann doch noch ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gefunden. Seither sei es noch schwieriger geworden, als Studentin irgendwo unterzukommen.

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Der Parteitag beschließt später mit großer Mehrheit einen Leitantrag, in dem aufgeschrieben ist, wie Abhilfe geschaffen werden könnte. »Ein Zuhause für uns alle – unser sozialdemokratischer Weg in der Mieten-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik« steht als Überschrift über dem 19 Seiten langen Papier. »Es muss Schluss sein mit Wuchermieten und Schein-Eigenbedarf«, sagt SPD-Vizelandeschef Mathias Schulz. Berlin dürfe keine »Spielwiese für Spekulanten und Mietabzocker« sein. In Richtung Bundestag sagt Schulz: »Gebt uns endlich die Länderöffnungsklausel für einen Mietendeckel.«

Das Abgeordnetenhaus hatte unter der alten rot-grün-roten Koalition 2020 einen Mietendeckel beschlossen, mit dem rückwirkend ab Sommer 2019 die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren werden sollten. Doch das Bundesverfassungsgericht kippte diese Regelung im April 2021 mit der Begründung, sie falle nicht in die Kompetenz der Bundesländer.

Auch der im September 2021 erfolgreiche Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« brachte bisher nichts. Das Land Berlin vergesellschaftete keineswegs große Bestände von Unternehmen, mit mehr als 3000 Wohnungen. Die SPD bekennt sich nun aber zu diesem Ziel, wie von dem Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg am Samstag noch einmal gefordert. Schlüsselburg wird angekündigt mit dem Satz, es sei »sein erster Parteitag«. So formuliert ist das schlicht falsch. Nur bei der SPD ist Schlüsselburg neu. Er ist von der Linken übergelaufen und hat bei seinen alten Genossen natürlich schon Parteitage erlebt. Zu seinen neuen Genossen von der SPD sei er 2025 gestoßen, weil er spüre, hier gebe es »nicht nur die radikale Pose«, sondern auch das Wissen und Können zur Umsetzung, sagt Schlüsselburg.

Zur Wahrheit gehört, dass ein früherer SPD-Parteitag mit 60 zu 40 Prozent der Stimmen gegen die Vergesellschaftung stimmte und auch die frühere Regierende Bürgermeisterin und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) sich nicht für das Anliegen erwärmen konnte. Die nach der Komplettwiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 weiter mögliche Koalition mit Grünen und Linken hatte Giffey aufgegeben, um Juniorpartnerin des neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zu werden. Dass so die Umsetzung des Volksentscheids fast unmöglich sein würde, lag klar auf der Hand.

Angesichts der Abgeordnetenhauswahl 2026 versucht die Berliner SPD nun, links zu blinken. Schließlich sind Mieten und Wohnen unbestritten das wichtigste Thema in der Stadt und werden voraussichtlich das wichtigste Wahlkampfthema werden. Neben hohen Mieten ein weiteres Problem: der Wohnungsmangel. 181 000 Wohnungen sind in den Jahren 2011 bis 2024 gebaut worden. Aber das genügte nicht für die wachsende Stadt. Mindestens 220 000 weitere Wohnungen braucht es bis 2040. Dafür müssen 100 Milliarden Euro investiert werden. Die SPD will den Bestand der kommunalen Wohnungen von aktuell rund 360 000 auf 500 000 erhöhen. Und die Hälfte des Wohnungsmarktes soll bis 2050 gemeinwohlorientiert werden. Dafür soll die Zielvorgabe von jährlich 5000 neuen Sozialwohnungen jährlich mit Unterstützung des Bundes auf 6500 ausgebaut werden.

Die vor fast genau einem Jahr am 25. Mai 2024 gewählte neue Doppelspitze aus Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel hatte einen personellen und kulturellen Neuanfang versprochen. Seit 2006 war es mit den Wahlergebnissen der Berliner SPD schließlich immer weiter bergab gegangen. Von 30,8 Prozent bei der damaligen Abgeordnetenhauswahl waren 2023 nur noch 15,1 Prozent übrig geblieben. Trotzdem gibt der SPD-Landesvorsitzende Hikel am Samstag die Parole aus: »Wir wollen wieder stärkste Kraft werden. Wir wollen Berlin aus dem Roten Rathaus regieren.«

Dass die Bevölkerung der Berliner SPD vieles nicht mehr glaubt, kommt beim Parteitag selbstkritisch zur Sprache. Hoffnung machen Hikel aber die zwei Tage zuvor veröffentlichten Ergebnisse einer Insa-Umfrage. Demnach können sich 44 Prozent der Berliner vorstellen, die SPD anzukreuzen. Das ist allerdings nur das theoretische Potenzial, das eine Partei praktisch nie ausschöpfen kann. Mitgezählt werden nämlich Befragte, die unter Umständen durchaus bereit wären, die SPD zu wählen, die tatsächlich aber für eine andere Partei stimmen wollen. Aufschlussreicher als das Potenzial ist die sogenannte Sonntagsfrage, für wen der Befragte stimmen würde, wenn am kommenden Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre. Da liegt die SPD lediglich bei 17 Prozent und damit sieben Prozentpunkte hinter der CDU zurück.

»Wir wollen Berlin aus dem Roten Rathaus regieren.«

Martin Hikel SPD-Landesvorsitzender

Die Verwechslung von Potenzial und Sonntagsfrage hatte dazu geführt, dass einer Wagenknecht-Partei vor ihrer Gründung Anfang 2024 traumhafte Ergebnisse vorhergesagt wurden. Tatsächlich blieb das BSW dann bei der Bundestagswahl im Februar 2025 weit unter solchen Erwartungen und verfehlte knapp die Fünf-Prozent-Hürde.

In Berlin hatte das BSW bei der Bundestagswahl immerhin 6,7 Prozent erhalten. Die Linke siegte in der Hautstadt mit 19,9 Prozent. Aber vier weitere Parteien lagen nicht weit entfernt, wie SPD-Landeschef Hikel bemerkt: Es waren die CDU mit 18,3 Prozent, die Grünen mit 16,8, die AfD mit 15,2 und die SPD mit 15,2 Prozent. Für eine Abgeordnetenhauswahl muss das alles jedoch nicht viel heißen. Da stehen die Grünen in der jüngsten Umfrage bei 15 Prozent, Linke und AfD werde je 13 Prozent prognostiziert, dem BSW sieben Prozent.

Hikel zeigt sich überzeugt, seine SPD könne die Trendwende bis zum Wahltermin 2026 noch schaffen. Um die Landespartei dafür fit zu machen, segnen die Delegierten noch eine Parteireform ab. Der Landesverband habe eine Struktur für 30 000 Mitglieder, obwohl er nur noch 17 500 Genossen zähle, heißt es zur Begründung. Es sollen weniger Ressourcen für Dinge verbraucht werden, mit denen die SPD in der Stadt nicht sichtbar sei.

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