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Füchse in Berlin: Lieber Brache als Wald
Die Füchse der Hauptstadt mögen ungestörte Flächen, doch das Großstadtleben wollen sie nicht aufgeben
Sie haben kaum Angst vor Menschen, sie haben die Stadt unter sich aufgeteilt und sie fressen auch mal Döner mit Pommes: Die Füchse in der Hauptstadt sind längst echte Berliner. Spätestens seit den 1990er Jahren sei die Stadt flächendeckend von den Füchsen besiedelt, sagt die Biologin Sophia Kimmig zu »nd«. »Jeder Winkel der Stadt gehört einer Fuchsfamilie.« Dabei unterscheiden sich die Stadtfüchse nicht nur von den Landfüchsen in Brandenburg, sondern es lassen sich sogar genetische Unterschiede zwischen den Fuchspopulationen in Ost- und Westberlin feststellen. Das hat die promovierte Biologin erforscht, deren wissenschaftliche Schwerpunkte Stadtökologie und Verhaltensforschung sind.
»Es ist möglich, dass das eine Folge der Berliner Mauer ist«, sagt Kimmig zu »nd«. Denn die Berliner Ostfüchse seien tatsächlich etwas näher an den Brandenburger Füchsen dran, was ein Indiz dafür sein kann, dass sich die Füchse in Westberlin durch das Eingemauert-Sein weniger mit den Ostfüchsen vermischt haben. »Eine genaue Grenzziehung oder Abgrenzung zu anderen Ursachen ist aber sehr schwierig«, so die Stadtökologin.
Was sich aber durchaus feststellen lässt, ist, dass die Berliner Füchse die Stadtgrenze nicht gerne verlassen. Eine Analyse des Genflusses durch die Stadt zeigt, wie die Gene geografisch weitergegeben werden, sagt Kimmig. Und in Berlin passiere das vornehmlich innerhalb der Stadt. »Die Stadtgrenze stellt eine Barriere dar.« Das heißt zum Beispiel, dass Füchse, die am Stadtrand leben, auf der Suche nach einem Partner zur Familiengründung weite Wege in die Stadtmitte hinein auf sich nehmen, bevor sie sich trotz deutlich kürzerer Strecke nach Brandenburg wagen. Die Brandenburger Füchse meiden die Großstadt laut Kimmig aber ebenso.
Der größte Vorteil des Stadtlebens: mehr Essen, sagt Kimmig. Die Tiere sind nämlich nicht besonders wählerisch: Den Großteil ihrer Ernährung stellen Mäuse dar, darüber hinaus fressen sie, was ihnen vor die Füße fällt. »Wenn ich ein Fuchs bin und in meinem Revier sind drei Dönerbuden und eine Pommesbude, dann esse ich Döner und Pommes«, sagt die Stadtökologin. Kleingarten-Füchse hingegen würden verhältnismäßig viel Obst zu sich nehmen. Das harte Landleben aber wollen weder die Döner- noch die Obstfüchse.
Während wir zur heißen Jahreszeit weiter im Büro schwitzen und das Parlament in den Ferien ist, tapst und kratzt und raschelt und flattert die Berliner Tierwelt wie gewohnt durch die Stadt. Wir nehmen uns von Woche zu Woche ein Berliner Wildtier vor. Jeden Dienstag vom 15. Juli bis zum 2. September erwarten Sie an dieser Stelle spannende Geschichten aus dem Großstadtdschungel!
Die Brandenburger Füchse hingegen können mit Menschenmassen weniger gut. »Auf dem Land ist das schon sehr unwahrscheinlich, einen Fuchs aus der Nähe zu sehen«, sagt Kimmig. In der Stadt hingegen seien die Füchse deutlich entspannter im menschlichen Kontakt. »Wenn du in Prenzlauer Berg lebst und in 200 Meter Entfernung vor Menschen fliehen würdest, dann könntest du deinen Schlafplatz nicht verlassen«, sagt Kimmig. Deswegen hätten die Berliner Füchse eine deutlich geringere Fluchtdistanz.
Die bequemen Berliner Füchse bewegen sich in der Regel auf ähnlichen Wegen wie die Menschen auch: Wenn sie im Dunkeln unterwegs sind, würden sie lieber den Gehweg nutzen, als sich durch die Hecken zu quetschen, sagt Kimmig. Wenn sie weitere Strecken zurücklegen, dann nehmen sie die S-Bahn-Trassen und größere Straßen. Allerdings: Die Stadtfüchse sterben auch oft jung, weil sie im Großstadtverkehr umkommen, so die Biologin.
Weite Strecken wollen die Füchse aber eigentlich ohnehin nicht laufen. Sie verlassen ihr Revier nicht, wenn sie es nicht müssen. Doch den jungen männlichen Füchsen ist der Komfort zumeist nicht vergönnt, zu Hause wohnen zu bleiben: Wenn sie alt genug sind, werden sie prompt vom Muttertier vor die Tür gesetzt, sagt Kimmig. Sie müssen dann losziehen, ein neues Revier finden und eine eigene Familie gründen. »Die Töchter können oft bleiben und mithelfen, die nächste Generation großzuziehen.« Später könnten sie das Revier dann erben, denn die Fuchsreviere der Stadt würden oft in Familienhand bleiben, sagt die Biologin.
Die Biologin hat die Bewegungen der Füchse auch über an ihnen angebrachte GPS-Tracker studiert. Dabei hat sie unter anderem festgestellt, dass die Reviere von Füchsen unterschiedlich groß sein können – vom kleinen Friedhof bis zu vier Quadratkilometern Wohngebiet sei in Berlin alles dabei, sagt sie.
Die Lebensräume der hauptstädtischen Füchse müssten dabei gar nicht sonderlich grün sein, sagt Kimmig. »Vor allem braucht es ungestörte Ecken.« Besonders beliebte Flächen sind zum Beispiel Brachen. Wälder und Parks seien sogar weniger beliebt bei den Wildtieren, wie Kimmigs Forschung zeigt. Hoch im Kurs stünden derweil auch Flächen, die von Zäunen umgeben sind, die die Menschen fernhalten. Kleingärten etwa seien ebenfalls gute Lebensräume für die Hauptstadttiere.
Das Zusammenleben zwischen Mensch und Fuchs verläuft überwiegend unproblematisch, sagt Kimmig. Nur die Angst vor der Tollwut halte sich hartnäckig im Bewusstsein der Bevölkerung, obwohl es die Krankheit seit 1996 nicht mehr unter den Füchsen in Berlin gebe und Deutschland seit 2008 als tollwutfrei gilt. Und Gartenbesitzer hätten teilweise Angst davor, dass Füchse etwa ihre kleinen Kinder oder Katzen angreifen könnten. »Füchse sind jedoch viel leichter und weniger wehrhaft als oft vermutet – ihre Beute sind nicht umsonst Mäuse – außerdem sind sie sehr freundliche und keine aggressiven Tiere«, sagt Kimmig.
Dass die Berliner Füchse aber bei einem großen Teil der Stadtgesellschaft beliebt sind, sei schön, aber nicht nur gut für die Wildtiere. So sei es ein Problem, wenn Füchse und vor allem Fuchswelpen von den Nachbar*innen gefüttert würden. »Füchse müssen lernen, selbst Essen zu finden«, sagt Kimmig. Auch die Scheu vor dem Menschen sollten sie nicht gänzlich ablegen. Das sei nicht nur wichtig für die Füchse, sondern auch für das Fuchs-Mensch-Zusammenleben.
Alle Teile der Wildtier-Serie finden Sie hier: Teil 1: Störche in Berlin; Teil 2: Igel in Berlin; Teil 3: Füchse in Berlin
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