Kritische Schülerin erst gewürdigt, dann mit KI gecancelt

Grimme-Verein erkennt Judith Scheytt »besondere Ehrung« ab – mit wirren Begründungen

Bei der Preisverleihung im Januar war die Welt für den Vereinsvorsitzenden Jörg Schieb noch in Ordnung. Nach einer Beschwerde eines Vereins aus Köln warf er Judith Scheytt vor den Bus.
Bei der Preisverleihung im Januar war die Welt für den Vereinsvorsitzenden Jörg Schieb noch in Ordnung. Nach einer Beschwerde eines Vereins aus Köln warf er Judith Scheytt vor den Bus.

Im Januar verlieh der Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises Judith Scheytt den »Donnepp Media Award« – als »besondere Ehrung«. Die damals 17-Jährige habe auf Instagram »eine neue und zeitgemäße Form der Medienpublizistik« geschaffen, hieß es in der auch vom Grimme-Institut verbreiteten Mitteilung. Die Jury lobte »Kenntnisreichtum und analytische Brillanz«, mit denen Scheytt Falschinformationen zum Gaza-Krieg detailliert dekonstruiere. Ihre »pointierten und herausfordernden Analysen« eröffneten »offene Räume« für Gespräche.

Drei Monate später dann die Kehrtwende: Scheytts Mutter erhielt die Mitteilung, dass der Preis aberkannt werde. Ihre Medienkritik sei »strukturell antisemitisch«, heißt es in einer 39-seitigen »Analyse«, die der Vereinsvorsitzende Jörg Schieb der inzwischen 18-Jährigen nach einem Telefonat zuschickte. Seine Bewertung fußt auf der IHRA-Definition – sie stellt rigide Israel-Kritik unter Antisemitismusverdacht und ist deshalb besonders in der Linken umstritten.

Scheytts Instagram-Kanal belegt derartige Kritik mit Studien und Quellen, wie es auch in der Ehrung hieß. Sie spricht von Genozid, Apartheid, Kriegsverbrechen, erklärt Boykott-Kampagnen gegen Firmen in besetzten Gebieten. Deutschen Medien wirft sie vor, palästinensische Stimmen zu marginalisieren – was der Journalist und Autor Fabian Goldmann in einer Studie nachgewiesen hat.

Die Freunde des Adolf-Grimme-Preises sind ein eigenständiger Förderverein, der das Grimme-Institut unterstützt, welches wiederum jährlich den renommierten Grimme-Preis verleiht. Formal sind beide getrennt. Mitunter hilft der Verein dem Institut aber organisatorisch oder finanziell.

Scheytt hat Schiebs »Analyse« zur Aberkennung des »Donnepp Media Award« veröffentlicht. Diese kommt zu dem Schluss, dass Scheytts Videos »auf den ersten Blick keine explizit judenfeindlichen Äußerungen enthalten«. Dennoch würden diese »durch Auslassungen, ungleiche Maßstäbe und verzerrte Darstellungen subtile antisemitische Muster reproduzieren«. Viele Argumente sind jedoch wissenschaftlich fragwürdig – und selbst antisemitisch, etwa indem Schieb Jüd*innen mit Israel gleichsetzt.

Der Verein habe Scheytts Videos nachträglich »juristisch ausgiebig prüfen lassen«, sagte Schieb – also auch durch eine KI?

In dem Papier heißt es, der Genozidvorwurf vor dem Internationalen Strafgerichtshof verkenne Israels »Präzisionswaffen-Einsatzquote«, weshalb »kaum Zivilbevölkerung« getroffen würde. 93 Prozent aller zivilen Opfer im Gaza-Krieg gingen auf »Human Shield-Strategien« der Hamas zurück, indem diese etwa Kommandozentralen unter Krankenhäusern errichte – die Behauptung gründet allein auf »IDF-Dokumente«, Schieb nennt dazu aber keine Quelle. Ebenso unbelegt ist, dass viele getötete Minderjährige Kämpfer der Hamas seien, da diese zu zwei Dritteln aus »16- bis 17-jährigen Kombattanten« bestehe.

Auch den Siedlungsbau – den sogar die Bundesregierung kritisiert – findet Schieb nicht völkerrechtswidrig: Dieser sei durch das Oslo-Abkommen legitimiert. Ihm zufolge könne es wegen eines arabischen Wahlrechts auch keine Apartheid in Israel geben – obwohl Araber*innen von der Regierung in Tel Aviv auf vielfältige Weise ausgegrenzt, verfolgt und bekämpft werden.

Nachdem Scheytt die Aberkennung auf Instagram öffentlich gemacht hatte, berichtete das Medienmagazin DWDL darüber. Gemutmaßt wurde, Schieb habe für seine »Analyse« mit einem KI-Sprachmodell gearbeitet – was dieser nur für »Fotos oder der Formatierung der Seiten« zugeben wollte. Für eine KI als Verfasserin sprechen allerdings auch Rechtschreibfehler wie »Schieferkrankenhaus« für die al-Shifa-Klinik in Gaza sowie das denglische Wort »Blutlibel«, das eine antijüdische Ritualmordlegende meint.

Schieb, selbst Journalist und laut Selbstbeschreibung »KI-Enthusiast«, kommentierte die womöglich maschinelle Erstellung seiner »Analyse« nicht – das »nd« stelle dazu »die völlig falschen Fragen«. In einer zweiten Mail hieß es: »Selbstverständlich nutze ich alle modernen Werkzeuge für Recherche, Analyse und Aufbereitung von Wissen, dazu gehört durchaus auch KI«. Der Verein habe Scheytts Videos nachträglich »juristisch ausgiebig prüfen lassen«, sagte Schieb dem Mediendienst – also auch durch eine KI?

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Offenbar handelte es sich bei der Aberkennung um einen Alleingang der Vorstandsmitglieder: Die Auszeichnung beschloss eine sechsköpfige Jury, der drei Externe angehörten. Gegen die Aberkennung des Preises an Scheytt stellten sich explizit zwei von ihnen – Nadia Zaboura und Steffen Grimberg. Sie wurden übergangen.

Fehler im Vorgehen mag Schieb nicht erkennen. »Entscheidend ist doch, dass wir uns gezwungen gesehen haben, den Preis abzuerkennen, da wir weder aktivistische, noch zumindest tendenziell antisemitische Inhalte auszeichnen wollen«. In der Ehrung klang das noch ganz anders: Scheytt wurde explizit für »Medienkritik, Aktivismus und Demokratiebildung« gewürdigt.

Immerhin gesteht das Grimme-Institut Fehler ein: »Auch wenn der Preisstifter und wir immer wieder betont haben, dass Verein und Institut völlig unabhängig voneinander agieren, ist diese Trennung nicht deutlich genug geworden – hier müssen wir besser werden«, sagte die Direktorin Çigdem Uzunoglu »nd«.

Der Förderverein für den Grimme-Preis geht indes auf Tauchstation – Presseanfragen landen auf der Mailbox von Schieb. »Dass ein Institut, das vorgibt, sich für mediale Verantwortung einzusetzen, dazu nach wie vor schweigt, ist für mich der eigentliche Skandal und lässt mich daran zweifeln, ob der Preis von so einem Verein überhaupt noch etwas wert ist«, sagt dazu der Journalist und Autor Goldmann zu »nd«.

Am Mittwoch machte der Vereinsvorsitzende Schieb jedoch gegenüber der Nachrichtenagentur epd bekannt, dass die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hinter der Kampagne steckt: der kleine Verein, der auch zu Antisemitismus an Schulen eingeladen wird, habe sich über die Abiturientin beschwert.

»Es ist ein weiterer Fall einer unglaublich langen Liste der letzten zwei Jahre, wo Diskurs verunmöglicht wird«, erklärt Scheytt »nd«. Systematisch machten kleine Lobbygruppen Druck gegen Stimmen, die Narrativen der israelischen Regierung zum Gaza-Krieg entgegenstehen könnten. Dass sie in die Offensive geht, bedauert die 18-Jährige nicht: »Anders als andere kann ich darüber sprechen, da ich nicht von öffentlicher Förderung abhängig bin.«

- Anzeige -

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -