Kaffeeanbau in Brasilien: Bäumefällen war einmal

Auf vielen sogenannten Robusta-Farmen im Regenwald wird mittlerweile schonend gewirtschaftet

Neu gesetzte Robusta-Büsche in Rondônia: Bäume wurden dafür nicht gefällt.
Neu gesetzte Robusta-Büsche in Rondônia: Bäume wurden dafür nicht gefällt.

Langsam schreitet Geraldo Jonacir Casteluber durch die langen Reihen von halbhohen Robusta-Büschen, die er vor gut einem Jahr auf rund fünf Hektar angepflanzt hat. Der drahtige, graumelierte Mann mit hoher Stirn und optimistisch leuchtenden Augen ist Kaffeebauer im Distrikt Terra Boa im Zentrum von Rondônia. Der brasilianische Bundesstaat im Amazonasgebiet grenzt an Bolivien und war bis in die 1980er Jahre hinein mit dichtem Regenwald bedeckt.

Das hat Casteluber noch erlebt. »Ich bin Mitte der 80er Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur nach Rondônia gekommen. Hier in der Region wurde den Leuten Land angeboten. Die einzige Auflage war, etwas anzupflanzen und mindestens 50 Prozent der Flächen zu entwalden«, erinnert sich der 58-Jährige mit einem entschuldigenden Schulterzucken. Er hat viele Bäume gefällt wie Tausende andere auch, um Gebiete urbar zu machen. Heute würde er das so nicht mehr machen. »2005 habe ich meine letzten Bäume gefällt, seitdem pflanze ich an, schaffe Ausgleichsflächen«, sagt Casteluber, der rund 100 Hektar bewirtschaftet und damit ein mittelgroßer Kaffeebauer ist. Im Vergleich zu den großen Rinder- und Sojafarmen, die in Rondônia in den letzten 30, 40 Jahren entstanden sind und oftmals mehr als 1000 Hektar bewirtschaften, ist die Kaffeefarm ein kleiner Fisch.

Allerdings hat auch er mit zunehmenden Wasserproblemen zu kämpfen, wie die Schläuche zeigen, die parallel zu den langen Reihen von Robusta-Pflänzchen verlaufen. »Wir haben auf Tröpfchen-Berieselung umgestellt, denn die Dürre im vergangenen Jahr hat uns deutlich vor Augen geführt, dass das klimatische Gleichgewicht auch in der so niederschlagsreichen Amazonasregion aus dem Ruder laufen kann«, meint Casteluber. »Meine Ernte brach um rund 30 Prozent ein«, schiebt er noch hinterher und mustert die Pflanzen, die einen guten Eindruck machen. Im nächsten Jahr sollen sie zum ersten Mal Kaffeekirschen tragen, danach dürften die Pflanzen dann richtig prall werden und von derzeit 60 Zentimeter auf rund 1,40 Meter wachsen.

Robusta ist Tieflandkaffee und stammt ursprünglich aus Zentralafrika. Mit einem Anteil von 40 Prozent am Weltmarkt ist sie die zweitwichtigste Sorte. Die Pflanzen können drei bis vier Meter hoch werden. Doch um die Bohnen leichter ernten zu können, ist man in der Amazonasregion Brasiliens dazu übergegangen, sie so zu beschneiden, dass sie mit den Nachbarpflanzen eine Art Dach aus Ästen bilden. Das schützt das Gros der Kaffeekirschen vor direkter Sonneneinstrahlung und bekommt den Pflanzen und der Ernte gut, erklärt Geraldo Casteluber.

Amazonas & Auswege

Am 10. November beginnt in Brasilien die 30. Weltklimakonferenz – mitten im Land, wo der Amazonasregenwald in alarmierendem Tempo schwindet. Unsere Serie zeigt, wie rasant die Entwaldung voranschreitet – und welche Lösungen es für nachhaltiges Wirtschaften gibt.

Er hat lokal eine kleine Genossenschaft initiiert, gehört aber auch der regionalen Produzentenvereinigung Caferon an. Deren Vorsitzender ist Juan Travian de Souza. Der 36-jährige untersetzte Mann ist Biologe und hat vor acht Jahren, unterstützt von drei Brüdern, mit dem Anbau von Robusta-Kaffee nahe Cacoal begonnen. Die 80 000-Einwohner-Stadt im Südosten Rondônias hat sich den Beinamen »Hauptstadt des Kaffees« verpasst. Dabei ist die Familie Travian mit 46 Hektar Robusta-Pflanzen, Viehweiden, einer Molkerei und einem florierenden Tourismus-Unternehmen einer der lokalen Big Player. Entsprechend professionell wird gewirtschaftet, und erklärtes Ziel ist es, qualitativ hochwertigen Kaffee zu produzieren und etwas für das Image der Robusta-Bohnen zu tun. Die gelten als weniger aromatisch als die Arabica-Bohnen, die in Brasilien vor allem im Bundesstaat Minas Gerais im großen Stil angebaut werden. Dem Vorurteil will Travian de Souza mit Edel-Robusta begegnen: »Wir produzieren hier Kaffees mit 85, 86 Punkten auf der SCA-Scala« erklärt er stolz. Der von der Specialty Coffee Association (SCA), einer Non-Profit-Organisation, definierte Standard ist das Qualitätsmaß aller Dinge in der Kaffeewelt. Nach einem standardisierten Test, dem »Cupping«, werden die Bohnen geprüft und in einer Skala von eins bis einhundert Punkten eingestuft. Travian de Souza beherrscht das selbst – er ist ausgebildeter Barista und »Q-Grader«, wie die professionellen Kaffeetester heißen.

»Die Dürre im vergangenen Jahr hat uns deutlich vor Augen geführt, dass das klimatische Gleichgewicht auch in der so niederschlagsreichen Amazonasregion aus dem Ruder laufen kann.«

Geraldo Jonacir Casteluber Kaffeebauer

Doch ihm geht es auch noch um ein zweites Vorurteil, der mit dem Robusta-Kaffee aus Rondônia einhergeht: dem Verlust von Regenwald für den Kaffeeanbau. »In Rondônia wird Robusta in steigenden Mengen angebaut, das ist richtig. Wir haben hier klimatische Bedingungen, die optimal sind für den Kaffee-Anbau«, so der Vorsitzende von Caferon. »Doch dafür wird kein Regenwald abgeholzt, sondern in aller Regel Weideland umgewidmet – unser Kaffee ist kein Waldkiller.«

Genau das kann die Kaffeeorganisation, der 10 400 der rund 17 000 Kaffeebauern in dem Bundesstaat angehören, beweisen, denn sie hat die Mitgliedsfarmen mithilfe des staatlichen Agrar-Forschungsinstituts Embrapa kartographiert. Per Satellit wurde durch den Vergleich der gespeicherten Karten nachgewiesen, dass sie nicht für den Raubbau an der Natur verantwortlich sind, der auch in Brasilien den Amazonas-Regenwald täglich weiter schrumpfen lässt. Experten gehen davon aus, dass Rondônia als einer der neun nordbrasilianischen Amazonas-Bundesstaaten zwischen 2002 und 2024 rund 26 Prozent seines Regenwaldes verloren hat. Fehlende Kontrolle sowie die Landnahme durch Vieh- und Sojabauern sind dafür meist verantwortlich, beklagen internationale Organisationen wie Global Forest Watch.

Das bestätigt auch Enrique Alves, der für das Agrarforschungsinstitut Embrapa tätig ist und Kaffeeproduzenten wie Travian de Souza oder Casteluber, aber vor allem die kleineren beim nachhaltigen Anbau berät. Die meisten Kaffeefarmen in Rondônia umfassen kleine Flächen, so wie die von William Santander. Der Sekretär einer Landarbeiter*innen-Gewerkschaft hat knapp vier Hektar. Die für ihre Kaffeequalität ausgezeichnete Ivonete Nedel baut auf sieben Hektar mit ihrer Familie Robusta an. Dies seien recht typische Größen, sagt Alves, der hin und wieder auch die Röstmaschinen von Travian de Souza bedient.

Zum Beispiel auf kleinen Kaffeemessen, wenn die Bäuer*innen der Region sich potenziellen Käufern, Röstunternehmen oder großen Importeuren vorstellen. Diese finden in Cacoal immer mal wieder statt. Juan Travian de Souza stellt dafür das kleine Röstzentrum zur Verfügung, welches neben einer Halle, wo der Kaffee verarbeitet, sortiert und getrocknet wird, zu Selva Café gehört. Kredite und der Rückhalt der Familie machen das möglich. Wichtig für die Kaffeebranche von Rondônia ist auch eine Studie, die Embrapa ein paar Monate vor der UN-Klimakonferenz im brasilianischen Belém publiziert hat. »Sie belegt, dass Robusta Kohlendioxid bindet, einen positiven Effekt hat – auch auf die gesamte Produktionskette betrachtet«, sagt der Kaffeespezialist, der Anfang November in Belém sein wird. Wahrscheinlich wird auch die Caferon-Vereinigung dort ausstellen, eventuell auch Kaffee ausschenken, um am Robusta-Image zu feilen.

Kaffeebauer Geraldo Casteluber
Kaffeebauer Geraldo Casteluber

Das wäre für viele Produzent*innen sinnvoll. Auch für Geraldo Casteluber, der nicht nur Kaffee anbaut, sondern auch Setzlinge züchtet. Landesweit hat er sich einen Namen gemacht mit der Qualität seiner Robusta-Pflanzen. Die sind vor allem in Rondônia und in Espirito Santos, den beiden wichtigsten Anbaustaaten Brasiliens, gefragt.

Zertifikate bürgen für die Qualität seiner Setzlinge, die auch im sogenannten Agroforst-Anbau eingesetzt werden – einem Landnutzungssystem, das Bäume und Sträucher mit Ackerbau, Grünland oder Tierhaltung auf derselben Fläche kombiniert. Dass im Schatten der Bäume des Regenwaldes angebaut wird, sei nötig, sagt Alessandra Da Costa Lunas. »Wir haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal Dürre in der Amazonasregion erlebt. Wegen fehlender Niederschläge hatten etliche Flüsse, die zum Amazonas führen, so niedrige Wasserstände, dass sie kaum befahrbar waren«, sagt die Kleinbäuerin und Gewerkschafterin, die die Interessen von Landarbeiter*innen und kleinen Produzent*innen vertritt, und warnt: »Wir müssen die Experten ernster nehmen, die vor dem Kipppunkt warnen, ab dem sich die negativen Effekte von Waldzerstörung potenzieren.«

In Brasilien sind das unangenehme Themen und in Rondônia besonders. Dafür sind zwei Agrarsektoren verantwortlich, die hier in den letzten Jahren immer wichtiger geworden sind: die Viehwirtschaft und die Sojafarmen. 18 Millionen Rinder stehen auf entwaldeten Flächen des Bundesstaats, in dem gerade 1,8 Millionen Menschen leben. Doch auch der Sojaboom ist auf dem Weg in die Hauptstadt Porto Velho kaum zu übersehen. Unzählige Silos stehen an der ausgebauten Straße, die von Weiden und Anbauflächen geprägt sind. Regenwald ist rund um Porto Velho kaum mehr zu sehen. Laut Farmer Casteluber ist die mangelnde staatliche Kontrolle das zentrale Dilemma. »Der weitere Ausbau der Anbauflächen gefährdet auch unsere Zukunft«, mahnt er, und das sollte auch beim Klimagipfel in Belém das zentrale Thema sein. Doch ob das so sein wird, dürfe bezweifelt werden: Die Soja-Lobby sei wohl auch dem progressiven Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu mächtig.

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