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Lobbyismus: Staatlich gelenkte Reisen nach Israel
Kampagnen der Regierung in Jerusalem zielen auch auf linke Politiker in Deutschland
Im November reiste eine deutsche Delegation von 160 »jungen Führungskräften« aus allen 16 Bundesländern nach Israel. Anlass war der 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern. Organisiert wurde die Reise vom israelischen Außenministerium als Teil einer auf Deutschland fokussierten Einfluss-Operation für die Verbesserung »des Status Israels in der Öffentlichkeit«, wie es der lokale Sender Kanal 12 kürzlich beschrieb. Neben der Förderung »zahlreicher« Artikel, die in deutschen Medien »pro-israelische Botschaften vermitteln«, gehören dazu auch Social-Media-Kampagnen zum 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Angriffs 2023 auf israelische Zivilisten, und Einladungen an als einflussreich identifizierte Deutsche.
Derartige Reisen für Entscheidungsträger stehen in der Kritik, weil sie ein einseitiges Bild der politischen Lage in Israel vermitteln, auf Akteure aus Regierung, Militär und Siedlerbewegung fokussiert sind und kritische Stimmen weitgehend ausblenden. Sie werden auch innerhalb Israels genutzt, um den politischen Kurs der Regierung zu stützen. So diente die Reise der deutschen Delegation, die mit einem eigens dafür bemalten Flugzeug eingeflogen wurde, dem Außenminister und Likud-Politiker Gideon Saar als Anlass, um eine Rede gegen die Zweistaatenlösung in israelischen Medien zu platzieren – in der er einen künftigen palästinensischen Staat mit dem NS-Staat verglich.
Unter den Teilnehmenden der Großgruppe im November waren auch zwei Sprecher*innen der kürzlich gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Shalom, die sich der Bekämpfung von »Antisemitismus und Antizionismus« in der Linkspartei verschreibt. Der innerparteiliche Zusammenschluss wurde nach eigener Darstellung von der israelischen Botschaft eingeladen, Mitglieder auf die Reise zu entsenden – deren Kosten sich auf mehrere tausend Euro pro Person belaufen dürften. Laut einem dem »nd« vorliegenden Dokument übernahm Israels Außenministerium sämtliche Kosten des Programms einschließlich Hin- und Rückflug, Hotelübernachtungen und Verpflegung.
Das European Leadership Network (Elnet) engagiert sich nach eigenen Angaben »als Denkfabrik und Netzwerkorganisation im Kontext der europäisch-israelischen Beziehungen«. Es betont, unabhängig »auf Grundlage gemeinsamer demokratischer Interessen und Werte« zu arbeiten. Deutsche Spitzenpolitiker*innen haben offenkundig keinerlei Bedenken, Veranstaltungen der Organisation durch ihre Beteiligung einen quasi-staatlichen Rang zu verleihen. So hielt kürzlich bei der Verleihung der diesjährigen Elnet-Awards für Engagement gegen Antisemitismus und für gute deutsch-israelische Beziehungen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die Laudatio für einen der Preisträger. Als Schirmherr der Preisverleihung fungierte Altbundespräsident Joachim Gauck, eine weitere Laudatio hielt die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Zudem erhielt Elnet mehrere Hunderttausend Euro an Unterstützung aus dem Bundesinnenministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Gesundheitsministerium.
Das fünftägige Programm, das einige Teilnehmende – einschließlich der BAG Shalom – gegenüber der Tageszeitung »Haaretz« als einseitige PR-Operation bemängelten, umfasste neben dem Besuch von Orten der Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2023 und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auch eine Führung durch eine Waffenfabrik des israelischen Konzerns Rafael. Ein weiterer Punkt des staatlichen Programms für die deutsche Reisegruppe war die Besichtigung der Altstadt im von Israel besetzten Ost-Jerusalem.
Die Teilnahme an einer Reise, die von einer rechtsextremen Regierung organisiert wird, wirft politische, aber auch parteirechtlich heikle Fragen auf – denn das Parteiengesetz verbietet die Finanzierung von Parteiaktivitäten durch fremde Staaten. Aurel Eschmann von LobbyControl, einem Verein, der für klare Schranken bei der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit eintritt, sieht die Reisen kritisch: »Die Übernahme von Reisekosten kann unter Umständen eine Parteispende darstellen«, sagte Eschmann zu »nd«.
Das gelte auch für ein parteiinternes Gremium wie die BAG Shalom, »wenn dabei ein geldwerter Vorteil entsteht, also tatsächliche Kosten erspart werden«. Das könnte der Fall sein, wenn ein Parteigremium Vertreter*innen zur Teilnahme auffordert, so Eschmann. Die Teilnahme eines hessischen Grünen an einer ähnlich gelagerten Israel-Reise führte im vergangenen Jahr zum Rücktritt beider Landesvorsitzender, weil die Zuwendung nicht als Parteispende deklariert worden war.
Hinsichtlich der Reise der »jungen Führungskräfte« erklärte die BAG Shalom, die auf Instagram von der Entsendung zweier Delegierter schrieb, diese seien nicht als ihre Sprecher*innen der Bundesarbeitsgemeinschaft gereist, sondern »persönliche Gäste« Israels gewesen. Die Delegationsreise sei auch einige Tage vor der offiziellen Konstituierung der Gruppe erfolgt, hieß es von der AG auf Anfrage. Außerdem habe die BAG Shalom zur Auswahl der Mitfliegenden eine »reine Mittlerrolle« übernommen – obwohl sie online schrieb, die Reise habe ihr »Zugang zu Institutionen und Persönlichkeiten (gewährt), die einem normalerweise verschlossen bleiben«.
Partei lehnt Spenden von Lobbyorganisationen ab
Die Reisegruppe mit 160 Teilnehmenden ist vielleicht die größte, aber bei Weitem nicht die erste, in deren Rahmen auch Mitglieder deutscher Parteien und Parlamente zu fragwürdigen Besuchen in Israel eingeladen wurden. Für die israelische Regierung in Deutschland aktive Lobbyorganisationen fliegen seit mehr als einem Jahrzehnt nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Mandatsträger*innen in das Land. Oft übernehmen diese deutschen Vereine die Kosten – auch von linken Abgeordneten.
Eine der Organisationen, die regelmäßig Israel-Reisen für deutsche Politiker*innen durchführt, ist das »Nahost Friedensforum« (NAFFO). Geleakte E-Mails aus dem israelischen Justizministerium, die auf einen Hackerangriff zurückgehen und von der gemeinnützigen Whistleblower-Plattform DDoSecrets archiviert sind, zeigen, dass das NAFFO seit 2014 in eine international agierende, diskrete Arbeitsgruppe eingebunden ist, die von der Regierung Benjamin Netanjahus zur Entwicklung juristischer und legislativer Strategien gegen die »Delegitimierung Israels« initiiert worden war.
Laut nd-Recherchen wurden seit 2014 mindestens 40 Bundestagsabgeordnete von NAFFO nach Israel gebracht. Schon an der ersten Reise nahm auch ein Mitglied der Linksfraktion des Bundestags teil. Laut Protokoll einer Mitgliederversammlung der Lobbyorganisation wurde die Beteiligung des nicht namentlich erwähnten Abgeordneten durch die Vereinsvorsitzende »insbesondere hervorgehoben« und von den Anwesenden »einhellig begrüßt«. 2019 reiste ein weiteres Mitglied der Linksfraktion mit NAFFO nach Israel. In diesem Fall machte die Organisation den Namen öffentlich: Es war die damalige Obfrau im Haushaltsausschuss, Gesine Lötzsch.
Solche Kostenübernahmen sind im Fall von Abgeordneten aus Landtagen oder dem Bundestag nicht illegal, solange sie rechtzeitig der Verwaltung gemeldet werden. Seit 2013 erklärt aber die Linkspartei, »überhaupt keine Spenden von Unternehmen, Banken oder Lobbyisten« mehr annehmen zu wollen. Auf Nachfrage bestätigte die Linkspartei, dass die Partei weiterhin auf derartige »Spenden« verzichte.
Lob für »linksradikale Partei Die Linke«
Auch die israelische Lobbyorganisation »European Leadership Network«, kurz Elnet, zeigt besonderes Interesse an der Linksfraktion. Wie zuletzt die »Taz« berichtete, sieht sich der Verein selbst als europäisches Äquivalent zu Aipac, der größten und einflussreichsten Israel-Lobby in den USA, und ist eng mit der Netanjahu-Regierung und der Siedlerbewegung verflochten. So erklärte im Jahr 2024 der Siedler und damalige Vorsitzende der Organisation, Emanuel Navon, vor einem parlamentarischen Ausschuss, Elnet arbeite »in vollumfänglicher Koordination und Kooperation mit dem Außenministerium, dem Nationalen Sicherheitsrat und der Knesset«. Sein Nachfolger Benjamin Touati lebt ebenfalls in den besetzten Gebieten und war zuvor in der nationalreligiösen Bnei-Akiva-Bewegung aktiv, die an der Gründung zahlreicher Siedlungen beteiligt war.
Der aus einer West-Bank-Siedlung stammende Elnet-Gründer Raanan Eliaz beschilderte auf einer von ihm betriebenen Webseite den Einfluss der Organisation auf die Bundespolitik: Seine »kontinuierlichen Aktivitäten unter hochrangigen Politikern in Deutschland« hätten dazu geführt, dass eine strenge Politik gegen die Israel-Boykottbewegung BDS verfolgt werde. »Selbst die linksradikale Partei Die Linke wurde nach Besuchen in Israel in den Jahren 2011 und 2015 davon überzeugt, sich erstmals öffentlich gegen die Boykottbewegung gegen Israel auszusprechen«, heißt es auf der Webseite des Elnet-Gründers. Tatsächlich positionierte sich der Parteivorstand zum ersten Mal 2011 gegen BDS. 2018 brachte die Linkspartei in Thüringen und Berlin sogar Anti-BDS-Resolutionen auf den Weg.
Wer aus der Partei Die Linke in welchem Jahr bei weiteren Reisen an Bord war, hat Elnet auf Anfrage nicht mitgeteilt. Es hätten jedoch seit Gründung des Berliner Büros 2014 »eine Vielzahl von Abgeordneten aller Parteien, mit Ausnahme der AfD, an Delegationsreisen, Konferenzen, Fachgesprächen und strategischen Dialogen teilgenommen«.
Zur Linksfraktion im Bundestag ist aber bekannt, dass seit 2017 mindestens fünf Abgeordnete einmal auf dem Ticket der rechtslastigen Organisation gereist sind – unter ihnen der damalige außenpolitische Sprecher Stefan Liebich. Gleich dreimal flog Martina Renner, zwischenzeitlich Sprecherin der Bundestagsfraktion für antifaschistische Politik, mit Elnet nach Israel.
Nach Informationen des »nd« sollte an einer Reise im Juni dieses Jahres der Linke-Bundestagsabgeordnete Michael Arndt teilnehmen. Diese wurde aber infolge der Kriegshandlungen zwischen Israel und Iran auf Dezember verschoben. Vor einigen Tagen hat sie nun offenbar begonnen: Am Montag postete Elnet ein Foto, das Arndt mit weiteren Abgeordneten von Union und SPD in Israel zeigt.
Ende November bat ein Mitarbeiter Arndts »um etwas Geduld« bei der Beantwortung von Fragen zu den Plänen. Erst mit dem neuen Posting konfrontiert, bestätigte Arndt am Dienstag die Teilnahme samt Kostenübernahme durch Elnet und erklärte, diese verstoße nicht gegen die Geschäftsordnung der Bundestagsfraktion. Die Teilnahme begründete er damit, dass die »Pflege des interparlamentarischen Austauschs zwischen Israel und der Bundesrepublik in diesen Zeiten wichtiger denn je« sei. Zu Lobbyorganisationen wie Elnet pflege er aber eine »kritische Distanz«, so Arndt. Ob die Reise, wie im Sommer noch angekündigt, eine Verköstigung auf einem Weingut und den Besuch einer Kampfdrohnenfabrik umfasst, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht herausfinden.
Partei will Vorwürfe intern klären
Das »nd« hat alle betreffenden Linke-Abgeordneten zu ihren Reisen beziehungsweise Plänen dazu befragt. Antworten gab es kaum, auch nicht vom Elnet-Gründer Eliaz oder vom NAFFO. Auf die Frage, ob die Übernahme der Reisekosten für die Parlamentarier*innen als eigentlich per Beschluss ausgeschlossene Spende einer Lobbyorganisation gewertet werden müsste, antwortete ein Sprecher der Linkspartei nur: »Solche Fragen klären wir zuallererst intern und nicht in der Öffentlichkeit über Anfragen von Medien.«
Für eine solche Klärung ist es höchste Zeit, denn Israel baut seine staatlich orchestrierten Einflusskampagnen massiv aus: Vergangene Woche kündigten Finanzminister Bezalel Smotrich und Außenminister Saar an, die Regierung werde rund 625 Millionen Euro zusätzlich für den »Krieg um das Bewusstsein« im Ausland investieren. Wie gezeigt, hat die Israel-Lobby dabei seit Langem auch Die Linke und ihre Fraktionen im Visier.
Diese Recherche erfolgte mit Unterstützung von Investigative Journalism for Europe (IJ4EU).
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