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»China wird die USA nicht ersetzen«
Der Politologe Stefan Schmalz über den Stand der geopolitischen Industriekonkurrenz
China baut mittlerweile jedes Jahr ungefähr so viele Solar-Kapazitäten neu auf, wie die EU insgesamt besitzt. Bei den großen Drei – E-Mobilität, Batterietechnik und erneuerbare Energien – hat das Land den Westen abgehängt. Könnte man behaupten, dass die geopolitische Konkurrenz zwischen China und dem Westen inzwischen ein Kampf der Wirtschaftsmodelle ist, also zwischen »elektrifiziertem« und fossilem Kapitalismus?
Das ist mit Sicherheit ein sehr wichtiger Bestandteil. China hat erneuerbare Energien und Elektromobilität sehr früh gefördert, und in den Kernbranchen ist das Land inzwischen Weltmarktführer. Ein Teil des fossilen Rollbacks, den wir in westlichen Staaten gerade erleben – die Abkehr vom Verbrenner-Aus zum Beispiel – hat damit zu tun, dass die Regierungen hier ihre Konzerne schützen wollen. Man könnte es vielleicht so formulieren: Da chinesische und europäische Kapitale sich unterschiedlich spezialisiert haben, sind auch die Interessenlagen geopolitisch aufgesplittert.
Wenn es stimmt, dass sich E-Mobilität und erneuerbare Energien technologisch gerade gegen die fossile Konkurrenz durchsetzen, verlieren westliche Industriestaaten ihre Bedeutung auf dem Weltmarkt. Und tatsächlich kann man im globalen Süden beobachten, dass die Zahl chinesischer Autos und Solaranlagen rasant wächst.
Ja, aber das größte Problem ist der Markt in China selbst. Deutsche Autofirmen haben lange gut auf dem chinesischen Markt verdient. Mittlerweile jedoch kommen zwei Drittel der dort verkauften Pkw – im Jahr 2024 über 31 Millionen Fahrzeuge – von chinesischen Anbietern. Zudem internationalisieren sich chinesische Firmen sehr rasch und haben starke Zugewinne auf den Märkten im Globalen Süden. Diese Verschiebung ist aber kein Selbstläufer. Unternehmen wie VW können einen Rückstand durchaus auch wieder aufholen. Ich denke nicht, dass deutsche Autokonzerne einfach vom Weltmarkt verschwinden werden.
Professor Stefan Schmalz lehrt Soziologie an der Universität Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen auch Politische Ökonomie und Entwicklungssoziologie. Bereits in seiner Habilitationsschrift beschäftigte Schmalz sich mit dem Aufstieg Chinas im Kontext der globalen Finanzkrise seit 2008.
Gleichzeitig muss man wohl auch der Vorstellung widersprechen, dass China gerade eine ökologische Wende vollzieht. Die Nutzung fossiler Energieträger, vor allem der Kohle, wird weiter ausgebaut. Und die Pro-Kopf-Emissionen sind mittlerweile höher als die Deutschlands.
Völlig richtig. Es kann sein, dass der Peak der CO2-Emissionen jetzt erreicht ist. Aber wir haben eine doppelte Bewegung: Der Ausbau der erneuerbaren Energien war in China viel schneller als erwartet. Gleichzeitig hat man aber auch die Kohle-Nutzung weiter ausgebaut. Letztlich ist also beides falsch: Zum einen ist China nicht der große Umweltsünder – das Land treibt die Energiewende viel entschlossener voran als der Westen. Gleichzeitig steigt der Energiebedarf Chinas aber so schnell, dass es bisher keine echte Umstellung weg von den fossilen Brennstoffen gibt. Eine solche Trendwende könnte aber in den kommenden Jahren erfolgen – der chinesische Parteistaat plant, die Emissionen bis 2035 um sieben bis zehn Prozent zu senken.
Der andere große Wettlauf ist der der High-Tech-Unternehmen. In der Chip-Technologie hinkt China Taiwan hinterher – unter anderem, weil westliche Firmen China die Technologiekomponenten, die der taiwanesische Konzern TSMC international erwirbt, nicht verkaufen dürfen. Bei der Künstlichen Intelligenz hingegen hat China die US-Giganten inzwischen offenbar eingeholt.
Bei den Halbleitern hatte China in der Tat lange einen erheblichen technologischen Rückstand. Hier lassen sich mittlerweile aber Aufholeffekte beobachten. Das Tech-Unternehmen Huawei, das lange Zeit im Mittelpunkt der US-Sanktionen stand, stellt heute recht erfolgreich eigene Chips her. Was die KI-Technologie angeht, sind die chinesischen Unternehmen inzwischen voll konkurrenzfähig. Der Unterschied ist, dass westliche Konzerne die globalen Märkte nach wie vor dominieren, weil ihre Plattformen etabliert sind. Aber seit dem Erfolg von Deep Seek weiß man, dass China sehr nah an den Westen herangekommen ist.
Der Erfolg der chinesischen KI ist aber auch der entscheidende Grund dafür, warum die chinesischen Klima-Emissionen nicht zurückgehen. Der Stromverbrauch der KI-Unternehmen explodiert.
Ja, Datenzentren haben einen enormen Verbrauch. Google hat zuletzt angekündigt, ein abgeschaltetes Atomkraftwerk wieder hochfahren zu lassen, um den eigenen Stromverbrauch zu decken. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien in China hat natürlich auch mit dem Bedarf der KI-Konzerne zu tun. Aber auch das ist interessant: Europäische Unternehmen betreiben bisher keine eigenen Datenzentren, sondern greifen auf US-amerikanische Anbieter zurück. Die chinesischen Firmen hingegen haben eigene Infrastrukturen aufgebaut. Ob die chinesischen Emissionen sinken werden, hängt letztlich auch davon ab, ob der Konsum dieser Datenzentren weiter so steigt wie bisher. Man muss allerdings auch sagen, dass die Welt ohne Chinas Anstrengungen wohl überhaupt keine Chance hätte, irgendwelche Klimaziele einzuhalten.
Chinas Erfolge haben mit der Fähigkeit zu tun, die kapitalistische Akkumulation politisch steuern zu können. Was ist das für ein System: Staatskapitalismus? Ein eigenes System mit Kapitalisten, aber ohne Kapitalismus?
Sehr charakteristisch für die Verhältnisse in China ist, dass die Partei über den Unternehmen steht. Die Interessen des Kapitals sind nicht die letzte Instanz. Während es in den USA unter Trump eine Art Übernahme des Staates durch die Hightech-Konzerne gegeben hat, zeichnet sich das Projekt von Xi Jinping in China dadurch aus, dass der die privatwirtschaftlichen Player wieder unter Kontrolle gebracht hat. In diesem Sinn könnte man also durchaus von »Staatskapitalismus« sprechen. Zugleich gibt es in China aber auch Marktlogiken, und es existiert ein eigenständiges Risikokapital. Das Verhältnis zwischen Staat und privatem Kapital wird immer wieder neu austariert. Ich würde sagen, es ist ein Parteistaat mit Kapitalakkumulation.
Von Sozialismus kann aber keine Rede sein: Die Sozialleistungsquote ist extrem niedrig. Es heißt, dass Brasilien ein besseres öffentliches, allgemein zugängliches Gesundheitssystem hat als China.
Brasilien hat wieder andere Probleme, etwa im Bildungssystem. Aber es stimmt: Die Sozialquote in China ist sehr niedrig. Zwar subventioniert der Staat indirekt, über die Wohnungspreise zum Beispiel. Aber die Sozialsysteme sind weiterhin kaum ausgebaut.
In der Weltsystemtheorie, die für Sie auch immer ein wichtiger Bezugspunkt war, geht man davon aus, dass es in der kapitalistischen Globalisierung immer eine Hegemonialmacht gibt. Die Vorherrschaft der USA ist im Niedergang begriffen. Gleichzeitig gibt es für einen Aufstieg Chinas noch eine Menge Hindernisse. Wie ist der Stand der Konkurrenz?
Ich denke, China wird von der ökonomischen und technologischen Entwicklung her schon bald in der Lage sein, die US-Hegemonie zu beenden. Aber gleichzeitig wird das Land vermutlich keine vergleichbare Steuerungsfunktion übernehmen können, und das hat mehrere Gründe. Erstens wird China, anders als die USA, nicht als globaler »ideeller Gesamtkapitalist« auftreten. Voraussetzung dafür ist, dass ein Land auch als Finanzplatz dient und internationales Kapital bei sich versammelt. In China hat der Parteistaat jedoch starke Regulationsansprüche. Der Schutz des Eigentums steht dort nicht an erster Stelle. Ein Milliardär, der sich mit der Partei anlegt, kann sein Vermögen verlieren. Für die Rolle des Welthegemons ist die Eigentumsgarantie aber entscheidend. Zweitens hat China bis heute keine kräftige Binnennachfrage. Die Löhne sind zwar gestiegen, aber nicht genug und deshalb bleibt die Abhängigkeit vom Export sehr hoch. Und drittens schließlich hat China ein demografisches Problem. Die Bevölkerung schrumpft schneller als erwartet. Das hat kulturelle Gründe, liegt aber auch an den Lebenshaltungskosten und den hohen Preis für Wohneigentum. Im Augenblick haben wir es also mit einer unvollendeten Transformation der Weltwirtschaft zu tun, die viel Chaos, Unsicherheit und Gewalt bedeutet. Wahrscheinlich wird es erst mal eine Phase ohne klares Zentrum geben. Vermutlich werden sich Blöcke herausbilden, die nicht völlig voneinander getrennt sind und sich auch stark überlappen können.
Sehr auffällig ist, dass China bisher wenig Anstalten globaler militärischer Expansion macht. Die USA besitzen 800 ausländische Militärbasen, Frankreich und Großbritannien immer noch Dutzende, China eine einzige. Das unterscheidet das Land radikal von bisherigen kapitalistischen Mächten, die ihre Kapitalrückflüsse bisher immer auch militärisch gesichert haben. Wird China hier nachziehen?
China hat historisch nie die Strategie einer klassisch imperialistischen Außenexpansion verfolgt. Manche sind der Ansicht, das habe daran gelegen, dass sich in China nie das Handelskapital gegen den Staat durchsetzen konnte. Meiner Ansicht nach setzt China tatsächlich weniger auf militärische als auf ökonomische Macht. Die Frage ist aber natürlich trotzdem, was geschehen wird, wenn elementare chinesische Interessen im Ausland angegriffen werden. Denn natürlich rüstet China zurzeit militärisch stark auf, es hat gerade den dritten Flugzeugträger präsentiert, und es gibt neue U-Boote und Kampfjets. Bisher richtet sich der Blick allerdings auf die unmittelbare Nachbarschaft – vor allem auf Taiwan. Auch wenn ich da selbst eher skeptisch bin: Bekannte in China sind der Ansicht, dass es wegen Taiwan tatsächlich demnächst zu einem militärischen Konflikt kommen könnte.
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