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Geld verdienen mit Menschenfeindlichkeit

Weder Pandemie noch Literatur prägten die Buchmesse, sondern die Präsenz rechter Verlage

Wenn es gefühlt mehr Desinfektionsspender auf einer Buchmesse gibt als Verlagsstände, weiß man, dass man es mit einer kuriosen Veranstaltung zu tun hat. Die Frankfurter Buchmesse 2021 fand trotz Pandemie mit einer stark reduzierten Zahl an Veranstalter*innen und Besucher*innen statt. Es war zu ahnen, dass einen dieses Jahr eine andere Art von Messe erwartete; eine, die man am besten vor 17 Uhr verlassen sollte, bevor man von den deprimierenden leeren Gängen überwältigt wird. Zudem reichte noch ein Blick in die ohnehin wenig besuchte Halle der internationalen Aussteller*innen, um wohl dem traurigsten Bild dieser Messe zu begegnen. Das des Afghanistan-Stands. Dort wurde nur ein schwarzes Tuch an der Wand aufgehängt, worauf stand: »No Books This Year« (Dieses Jahr keine Bücher).

Doch was die Buchmesse 2021 am meisten prägte, war weder die Pandemie, noch waren es die Bücher, sondern die Präsenz der rechten Verlage, weswegen die Autorin Jasmina Kuhnke und daraufhin noch andere Autor*innen die Teilnahme an der Veranstaltung absagten. Es gab kaum ein seriöses Gespräch auf der Messe, ohne dass auch dieses Thema aufkam. Vor allem ein bestimmter Verlag war im Fokus der Kritik. Dessen Stand befand sich direkt neben der ZDF-Bühne, wo die vielbesuchte Gesprächsreihe »Das Blaue Sofa« stattfand.

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So viel zur Kuriosität der Situation, wenn die Besucher*innen am Stand des faschistoiden Verlags vorbeigehen mussten, um etwa das Gespräch auf dem »Blauen Sofa« zu verfolgen, bei dem es gerade darum ging, dass laut Studien 70 Prozent der Menschen den Rechtsextremismus als Bedrohung für die Gesellschaft einstufen würden.

Auf die Anwesenheit rechter Verlage nahmen insbesondere etliche Sachbuchautor*innen Bezug, um jeweils die These ihrer aktuellen Bücher zu erläutern. Auf der ZDF-Bühne haben beispielsweise Friedemann Karig und Samira El Ouassil ihr neues Sachbuch »Erzählende Affen« präsentiert. Das Buch trägt den Untertitel: »Mythen, Lügen, Utopien - wie Geschichten unser Leben bestimmen«. Darin geht es um unsere Welt, die aus Narrativen, Erzählungen und Märchen gestrickt ist. Die Autor*innen durchsuchten die wichtigen Geschichten der Menschheit - von der Antike bis zur Gegenwart-, um zu analysieren, aus welchen Mythen etwa Rassismus entsteht und welche neuen, besseren Erzählungen wir heute brauchen.

Warum man nun auf der Buchmesse auch Verlagen Raum gab, die für Faschismus und Extremismus einstehen, versuchte Friedemann Karig anhand dieses Sachbuches zu erklären. Aus seiner Sicht gab es zwei Möglichkeiten, wie die Buchmesse auf solche Kritik reagieren konnte: Entweder gibt man zu, dass ökonomische Zwänge die größere Rolle gespielt haben (oder vielleicht hat man nicht genau hingeschaut, bemerkte Karig ergänzend), oder man erzählt uns eine Geschichte. Die Geschichte der Meinungsfreiheit, die zwar ein großer Wert sei in einer liberalen Demokratie, aber die in diesem Fall zu einem Narrativ gestrickt werde, laut Karig zu einer Heldenvorstellung: Wenn wir alle tolerant und liberal genug am Tisch Platz nehmen und auch denen einen Raum geben würden, die menschenfeindliche Positionen beziehen, dann entstünde eine bessere Gesellschaft. »Das ist natürlich, mit Verlaub, ein Märchen«, so Karig, »Extremismus und Faschismus sind keine Meinung und gehören nicht toleriert und vor allem deswegen auch nicht unter Meinungsfreiheit. Aber welche Geschichte ist die bessere? Man wollte Geld verdienen? Oder man wollte die Meinungsfreiheit hochhalten?«

Der Umgang der Buchmesse mit rechten Verlagen hat auch viel mit dem Sachbuch »Wozu Rassismus« des Soziologen Aladin El-Mafaalani zu tun, wie er auf der ARD-Buchmessenbühne beschrieb. El-Mafaalani schildert in seinem Buch, wie Rassismus funktioniert und wie wir alle darin involviert sind. Nachdem man den offenen, in den Gesetzen steckenden Rassismus bekämpft hat, sind wir jetzt vor allem mit dem strukturellen Rassismus konfrontiert. Diesen vergleicht El-Mafaalani mit dem Asbest in den Wänden; man sieht ihn nicht, wird trotzdem krank, merkt es aber nicht. Und nur wenn man nach ihm sucht, findet man ihn.

Dass wir als Gesellschaft an den Punkt gelangen, dass wir nach Rassismus suchen, ist erst möglich, wenn viele von Rassismus Betroffene in der Gesellschaft aufgestiegen sind und auch mitdiskutieren können. Das ist jetzt auf der Buchmesse passiert. »Die Verlage, um die es geht, sind gefühlt seit fünf, sogar zehn Jahren auf der Buchmesse. Das hat nie jemanden offenbar so richtig interessiert«, so El-Mafaalani, »da wir aber nun die Teilhabe von ehemals extrem Ausgeschlossenen auf der Buchmesse haben, sprechen sie jetzt etwas an, was für die anderen kein Problem war.« Das betrachtet El-Mafaalani als eine Schwelle, an der neue gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden müssen. Man muss sich daran gewöhnen, dass andere Menschen nun da sind, die in einer anderen Weise betroffen sind. Denn es macht einen Unterschied, ob man Rassismus als nicht betroffene Person oder Gruppe bekämpft oder als betroffene. Und die Betroffenen stellen nun eine andere Frage an die Messe.

Insofern ist auch die Frankfurter Buchmesse 2021 eine andere gewesen, nicht nur wegen der Pandemie, sondern weil sie sich mit Fragen konfrontiert sah, für die die alten Lösungen und Begründungen nicht mehr passten.

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