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Nadia Melliti: »Als wäre ich bei der Champions League!«

Nadia Melliti wollte Fußballerin werden, doch dann stand sie auf der Bühne des Cannes-Filmfestivals. Ein Gespräch über Fügung, Film und Fußball

Nadia Melliti als 17-jährige Fatima
Nadia Melliti als 17-jährige Fatima

»Die jüngste Tochter«, das Drama der französischen Regisseurin Hafsia Herzi, das auf dem gleichnamigen Roman von Fatima Daas basiert, erzählt die Geschichte der 17-jährigen Fatima, der jüngsten von drei Töchtern einer französisch-algerischen Familie in einem Pariser Vorort. Fatima fühlt sich von Frauen angezogen, aber sie kann es niemandem in der Familie sagen. Sie will nicht zwischen ihrer Religion und ihrer Homosexualität wählen müssen und versucht, ihren eigenen Weg zu gehen.

Sie interessierten sich früher eher für die Welt des Sports und nicht für die Welt des Kinos. Hat sich etwas nach Ihrer ersten Filmrolle und der Cannes-Erfahrung geändert?

Ja, ein bisschen, in dem Sinne, dass ich viel mehr Filme gucke, mich auch für Schauspieler*innen interessiere oder schaue, was gerade in der Filmszene aktuell ist. Aber ich interessiere mich nach wie vor sehr für den Sportbereich.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Fußball und Film?

Ja, es gibt auf jeden Fall viele. Filmemachen ist eine kollektive Arbeit – genauso wie beim Fußballspiel auf dem Feld. Auch was die Vorbereitungen angeht, gibt es da Ähnlichkeiten: Die Sportler*innen müssen vor einem Wettbewerb trainieren; die Schauspieler*innen machen eine ähnliche Arbeit, indem sie immer wieder proben, bevor sie dann im Film spielen.

Die Zeitlichkeit ist anders. Das Fußballspiel ist nach 90 Minuten vorbei, während ein Film für die Ewigkeit sein kann. Allein der Dreh dauert schon mal sehr lange, und bis zum Ergebnis dauert es noch länger. Der Film lebt dann immer weiter. Wir sehen es jetzt bei unserem Film »Die jüngste Tochter«. Er ist sehr erfolgreich, wir werden zu vielen Festivals eingeladen. Dann müssen wir auch für den Film Werbung machen, das machen ja Sportler*innen in der Regel nicht, vielleicht abgesehen von Hochleistungssportler*innen. Als Schauspieler*in zeigt man Emotionen und sorgt dafür, dass auch das Publikum Gefühle empfindet, während man beim Fußballspiel einfach spielt, um zu gewinnen. Und beim Sport spielt man ja gegeneinander, aber beim Film spielt man miteinander.

Interview

Nadia Melliti wurde 2002 als Tochter algerischer Eltern in einem Pariser Vorort geboren. Sie studiert Sport­wissen­schaften an der Uni­ver­si­tät Sorbonne Paris Nord. Parallel dazu begann sie eine Karriere als Profi­fuß­ballerin, doch ihre Pläne änderten sich, als sie von einer Casting-Agentin auf den Straßen von Paris entdeckt wurde. Ohne vorherige Erfahrung wurde sie für die Haupt­rolle der 17-jähri­gen Fatima in Hafsia Herzis Drama »Die jüngste Tochter« aus­ge­wählt. Für ihr Debüt erhielt sie 2025 in Cannes den Preis als beste Dar­stel­lerin. Der Film gewann außer­dem die Queer Palm.

Sie wurden auf den Straßen von Paris von einer Casting-Agentin entdeckt, später für die Rolle der Fatima engagiert und dann auf dem Cannes-Filmfestival als beste Schauspielerin ausgezeichnet. War es ein Zufall mit Happy Ending?

Das ist eine spannende Frage; das habe ich noch nicht so genau überlegt. Ich glaube eher, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Was ich auch denke, ist, dass wir uns die Chance geben sollten, Dinge zu entdecken, die wir gar nicht kennen. Oft hat man Angst vor dem Unbekannten. Aber ich bin diesen Schritt gegangen, habe die Gelegenheit genutzt, etwas Unbekanntes zu entdecken. Ich verstehe, wenn Leute Angst davor haben, weil man nicht weiß, was einen erwartet.

Als ich die Nachricht bekommen habe, dass sie sich für mein Profil interessieren, bin ich nach Paris gefahren und habe gesehen, dass so viele Leute da waren, die sich an dem Casting beteiligten. Ich habe gedacht: Okay, auch wenn ich keine Erfahrung habe und da viele Leute sind, will ich meine Chance nutzen. Insofern ist es nicht wirklich ein Zufall. Klar war ich da in Paris, um Freund*innen zu treffen und nicht, um an einem Casting teilzunehmen. Aber am Ende habe ich diese Entscheidung getroffen und bin diesen Weg gegangen.

Man wird im Leben ja mit vielen Gelegenheiten konfrontiert. Und dann geht es darum, nicht unbedingt den Mut zu haben, sondern den Willen, die Gelegenheit auch beim Schopf zu ergreifen. Man kann viele Dinge tun und denken, oh, das war das Schicksal, dass ich etwas gemacht oder nicht gemacht habe. Aber ich glaube, ich habe eine Wahl getroffen, eine Wahl, die ich überhaupt nicht bedauere, weil ich dadurch eine Welt entdeckt habe, die ich sehr mag. Vielleicht würde ich etwas anderes sagen, wenn mir diese Erfahrung nicht gefallen hätte.

Nach Ihrem Cannes-Erfolg haben Sie bestimmt andere Vorschläge bekommen. Sie wurden für Ihre erste Rolle ausgewählt, nun dürfen Sie Ihre weiteren Rollen selbst auswählen. Welche Figuren, welche Geschichten würden Sie bevorzugen?

Auf jeden Fall einen Actionfilm mit vielen Stunts – etwas wie »Mission Impossible«. Ich würde auch sehr gerne eine Polizeibeamtin spielen, weil ich diesen Beruf liebe. (lacht) Ich weiß, dass nicht alle die Polizei mögen, aber ich finde, dass sie einen ganz wichtigen Job machen. Wenn sie das auch gut machen – mit wenig Autorität und eher mit sehr viel Wohlwollen. Denn ich glaube, wir brauchen tatsächlich auch Ordnung in der Gesellschaft, und wir brauchen Leute, die für diese Ordnung sorgen. Ich habe Respekt vor diesen Leuten.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie als junge Frau, die in Frankreich Profifußballerin werden wollte?

Also ich konnte keine Profikarriere machen, aber ich habe trotzdem ein Level erreicht, auf das ich auch sehr stolz bin. Und auf eine Art war Cannes wie die Erfüllung meines Kindheitstraumes, als wäre ich bei der Champions League! Denn ich war da umgeben von den besten Künstler*innen und Regisseur*innen. Cannes ist ja wirklich ein sehr prestigevolles Festival. Und ich habe mich dort ein bisschen so gefühlt, als hätte ich meine persönliche Zeremonie, bei der der Goldene Ball verliehen wird.

Was war für Sie das Bewegende bei dieser Geschichte »Die jüngste Tochter«?

Alles. Angefangen mit dem Roman und seiner Spiritualität und seiner Poesie. Und dann diese Figur Fatima, die leidet, die auch kämpft. Sie kämpft, um sie selbst sein zu dürfen. Ebenfalls die Geschichte mit der Mutter, die ihre Tochter ohne Worte unterstützt und auch das Schweigen ihrer Tochter respektiert. Die Entwicklung der Figur. Dass sie sich als Lesbe akzeptiert. Die Kampfszene in der Schule habe ich auch sehr geliebt, weil es eben ein gutes Abbild ist von dem, was sich in Fatimas Kopf abspielt. Ich musste um die Figur trauern, weil ich sie am letzten Drehtag gehen lassen sollte. An diesem Tag haben wir die letzte Szene gedreht, die des nonverbalen Coming-out vor der Mutter. Es war für mich sehr hart, mich von Fatima und ihrer Geschichte zu verabschieden.

Kann man mit einer Filmrolle auf der Leinwand mehr in der Welt bewegen oder als Fußballspielerin auf dem Feld?

Eine schwierige Frage. Ich habe eine große Leidenschaft für Fußball. Aber ich kann mir schlecht vorstellen, dass das jetzt wichtiger ist als ein Film. Fußball bewegt auf jeden Fall vieles. Für die Zuschauer*innen sind es wirklich sehr emotionale Momente, wenn die Nation die WM gewinnt, da freut man sich wirklich. Das ist ein historischer Moment. Film ist eher eine andere Ausdrucksart, bei dem andere Gefühle mittransportiert werden. Ich glaube, der Film ist für viele Personen zugänglicher, weil es einfach viel mehr Infrastruktur gibt. Es gibt Kinos überall, man kann einfach mehrere Karten kaufen. Es gibt zwar Stadien für Fußball, aber nicht so viele. Und so ein Stadion-Ticket ist auch viel teurer.

Im Endeffekt hängt es eigentlich vom Publikum und vom Geschmack ab. Wenn es ein großes Spiel gibt in Paris, dann gibt es immer irgendwie Chaos und Zerstörung danach. Ich glaube, nur Sport verursacht das. Niemand geht auf die Straße und zerstört irgendwas, nachdem man im Kino war und einen wunderschönen Film gesehen hat. Beim Kinobesuch werden Gefühle viel mehr gehalten, die breiten sich nicht so aus. Und Sport oder Fußball hat eine andere Wirkung auch auf den Körper und bringt eben die Leute dazu, solche Dinge zu tun. Leider.

Möchten Sie jetzt im Sportbereich Karriere machen, oder gibt es neuerdings andere Zukunftsperspektiven für Sie?

Gerade, zwischen Uni und Filmbereich, habe ich sehr wenig Zeit für Fußball. Aber wenn ich wählen müsste zwischen Film und Fußball, würde ich mich auf jeden Fall für den Fußball entscheiden, wenn ich da Karriere machen könnte.

»Die jüngste Tochter«: Deutschland/Frankreich 2025. Regie und Drehbuch: Hafsia Herzi. Mit: Nadia Melliti, Ji-Min Park, Aloïse Sauvage. 106 Minuten. Start: 25. Dezember

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