Ministerpräsident für ein halbes Jahr

Mittwoch soll der CDU-Politiker Hendrik Wüst zum Nachfolger von Armin Laschet gewählt werden

Als der neu gewählte Bundestag am Dienstag erstmals zusammentrat, war Armin Laschets Amtszeit als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen vorbei. Laschet hatte als CDU-Spitzenkandidat für den Bundestag kandidiert und die NRW-Landesverfassung schreibt fest, dass ein Mitglied des Bundestags nicht gleichzeitig der Landesregierung angehören kann. Laschet dürfte damit den Höhepunkt seiner Karriere hinter sich haben. Viereinhalb Jahre war er Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Mit einer Bilanz, die von großen Teilen der Bevölkerung positiv gesehen wurde, bis Laschet sich im Bundestagswahlkampf unmöglich machte. Pannen, fragwürdige Aussagen und inhaltliche Unbestimmtheit führten dazu, dass Laschet und die CDU abstürzten.

Dabei regierte Laschet in NRW genauso, wie es die Wählerschaft von CDU und FDP erwartete. Mit acht sogenannten Entfesselungspaketen wurde Bürokratie, vor allem für Unternehmen, abgebaut. In der Schule ging es zurück zum Abitur nach 13 Jahren. NRW schiebt mehr ab als in der Vergangenheit und Innenminister Herbert Reul inszeniert sich als Kämpfer gegen Clan-Kriminalität. Kritik an vielen Maßnahmen der Landesregierung gab es nur von links. Und sie verfing oft nicht. Reul ist einer der beliebtesten Politiker im Land, trotz der teils rassistischen Praxis in der Clan-Bekämpfung und trotz der Räumung des Hambacher Forsts, die kürzlich als rechtswidrig eingestuft wurde.
Bis vor wenigen Monaten führte diese Politik zu konstant hohen Zustimmungswerten für die Landesregierung. Das ist offenbar vorbei. Am Sonntag veröffentlichte der WDR einen aktuellen »NRW-Trend«. Darin stürzt die CDU auf 22 Prozent ab. Die SPD klettert auf 31 Prozent. Zusammen mit den Grünen, die bei 17 Prozent liegen, würde es für eine rot-grüne Mehrheit im Landtag reichen. 50 Prozent der Befragten wünschen sich eine von der SPD geführte Landesregierung. Nur 32 Prozent wollen, dass die CDU regiert. Könnten sie den Ministerpräsidenten direkt wählen, stimmten derzeit zwar 31 Prozent für Hendrik Wüst. Doch der Chef der NRW-SPD Thomas Kutschaty liegt mit 25 Prozent knapp hinter ihm. 44 Prozent der Befragten wollen keinen von beiden als Ministerpräsidenten. Um Sympathiepunkte zu sammeln, bleibt Hendrik Wüst nicht viel Zeit. Am 15. Mai 2022 wird ein neuer Landtag gewählt. Wüsts Chancen, am Mittwoch zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden, stehen gut. CDU und FDP haben zwar nur eine Mehrheit von einer Stimme, zeigen sich aber geschlossen.

Um bei der kommenden Landtagswahl erfolgreich zu sein, hat sich Wüst neu erfunden. Lange gab der 46-Jährige den nationalistischen Wirtschaftspolitiker. In jungen Jahren erzählte Wüst der neurechten Zeitschrift »Junge Freiheit«, dass er den Kampf gegen rechts »befremdlich finde. Später sprach er sich dafür aus, Arbeitslose zu verpflichten, Spritzen, Scherben und Hundekot auf Spielplätzen einzusammeln. Als Generalsekretär der NRW-CDU musste er wegen seiner Rolle in der Rent-a-Rüttgers-Affäre zurücktreten. Die CDU hatte Termine mit dem damaligen Ministerpräsidenten verkauft.
Wüst wurde danach unauffälliger. Seine Machtbasis in der CDU hat er im Mittelstandsflügel der Partei. Deshalb überrascht es ein wenig, wie er am Wochenende beim Parteitag aufgetreten ist, der ihn mit 98 Prozent gewählt hat. Die CDU sei das «soziale Gewissen der Republik», so Wüst in seiner Bewerbungsrede. Wähler, die zu SPD und Grünen gewandert sind, will er zurückgewinnen, nicht nach rechts blinken, den kommenden Landtagswahlkampf unter dem Motto «Du zählst» und «Wir hören zu» bestreiten. Auch gibt Wüst den ambitionierten Klimapolitiker. Der Klimaschutz sei «Kernthema unserer Zeit», erklärte er. Dieses will er mit wirtschaftlicher Stabilität verbinden: «Wenn wir beim Klimaschutz Wohlstand verlieren, macht uns das auf der ganzen Welt keiner nach.»

Wüsts Klimapolitik als NRW-Verkehrsminister kommt allerdings über Inszenierungen nicht hinaus. Auf Instagram gibt es viele Bilder von ihm auf dem Fahrrad. Einen Entwurf zu einem Fahrradgesetz für Nordrhein-Westfalen kam aber erst auf Druck der Bürgerinitiative «Aufbruch Fahrrad» zustande, die 2019 über 200 000 Unterschriften gesammelt hat. Der Gesetzentwurf wird von Fahrradverbänden als Anfang gewertet, der noch erheblich nachgebessert werden muss. Es fehle an einem Konzept zur Verkehrswende, der vorliegende Entwurf würde keine Wirkung entfalten. Außerdem wird der schleppende Ausbau von Radwegen kritisiert. Von einem Radschnellweg, der das ganze Ruhrgebiet durchqueren soll, sind erst wenige Kilometer fertiggestellt.
Eine andere klimapolitische Herausforderung, die auf Wüst zukommt, ist der Umgang mit der Braunkohle. Am Tagebau Garzweiler ist ein Bauernhof akut von Enteignung bedroht. Die Klimabewegung mobilisiert seit Monaten zur Verteidigung des Hofes. Ab dem 1. November könnte es dort ernst werden. Es liegt nun auch im Ermessen von Hendrik Wüst, ob in Lützerath ein riesiger Polizeieinsatz beginnt, oder ob die Landesregierung erst einmal abwartet. Gründe dafür gäbe es. Um die Enteignung des Hofes läuft noch ein Gerichtsverfahren und bei den Koalitionsverhandlungen im Bund geht es auch um einen früheren Kohleausstieg.

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