Neuer Auslieferungsfall im »Budapest-Komplex«

Ungarn lässt in Italien lebenden Aktivisten in Paris verhaften

Dass Italien dem aus Albanien stammenden Gino trotz über 20 Jahren regulären Aufenthalts die Staatsbürgerschaft verwehrt, nennt Ilaria Salis »systemischen Rassismus«.
Dass Italien dem aus Albanien stammenden Gino trotz über 20 Jahren regulären Aufenthalts die Staatsbürgerschaft verwehrt, nennt Ilaria Salis »systemischen Rassismus«.

Auf Geheiß der ungarischen Staatsanwaltschaft hat die französische Polizei vergangene Woche einen weiteren Aktivisten festgenommen, der wegen einer Teilnahme an antifaschistischen Protesten in Budapest gesucht wird. Wie eine italienische Solidaritätsgruppe am Samstag berichtete, wurde der aus Albanien stammende Gino in Paris anschließend in das Gefängnis von Fresnes nahe der Hauptstadt gebracht. Grundlage der Festnahme war ein Europäischer Haftbefehl, der ihm eine mutmaßliche Beteiligung an Straftaten rund um den sogenannten »Tag der Ehre« im Februar 2023 in der ungarischen Hauptstadt vorwirft.

Der »Tag der Ehre« ist ein jährliches Treffen von Rechtsextremen, das regelmäßig antifaschistische Gegenproteste hervorruft. Vom 9. bis 11. Februar 2023 kam es laut Polizeiangaben zu mehreren Angriffen, bei denen internationale Aktivist*innen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextreme attackiert haben sollen. Dabei seien vier Personen schwer und fünf weitere leicht verletzt worden. Ungarns Staatsanwaltschaft soll deshalb Europäische Haftbefehle gegen zwei Menschen aus Italien, einen Albaner, einen Syrer sowie zehn Deutsche erlassen haben.

Kurz nach dem »Tag der Ehre« hatte die ungarische Polizei bereits die Italienerin Ilaria Salis sowie die beiden aus Deutschland stammenden Aktivist*innen Tobias E. und Anna M. festgenommen. Zehn Monate später begann in Budapest wegen verschiedener Straftaten und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ihr Prozess. Tobias E., der aus Berlin stammt, stimmte einem Schnellverfahren mit Einlassungen zu und erwartet nach Absitzen seiner Strafe nun die baldige Entlassung.

Aus Deutschland wurde im Sommer die nichtbinäre Aktivistin Maja T. nach Budapest überstellt. Derzeit wird die mögliche Auslieferung von Hanna, die in Nürnberg inhaftiert ist, geprüft. Ihr wird in Budapest »versuchter Mord« vorgeworfen. Vor zehn Tagen nahm die Polizei in Thüringen Johann G. fest, der im Zusammenhang mit deutschen Ermittlungen wegen Angriffen auf Rechtsextreme, aber auch wegen mutmaßlicher Taten beim »Tag der Ehre« vor zwei Jahren gesucht wird.

Auch Ilaria Salis droht weiterhin die Auslieferung nach Ungarn, obwohl sie nach ihrer Wahl ins Europäische Parlament im Sommer vorläufig freigelassen worden werden musste. Ungarn hat kürzlich einen Antrag auf Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität gestellt, der zuständige Parlamentsausschuss muss nun darüber entscheiden. Den ungarischen Auslieferungsantrag würden in Italien anschließend dieselben Justizbehörden bearbeiten, die bereits die Überstellung des ebenfalls im sogenannten Budapest-Komplex gesuchten Gabriele M. abgelehnt haben. Dabei verwiesen sie auf die menschenrechtswidrigen Haftbedingungen in Ungarn.

Die Entscheidung über Ginos mögliche Auslieferung liegt nun bei einem französischen Gericht. Eine erste Anhörung ist nach Informationen des »nd« für Mittwoch angesetzt. Am Montag äußerte sich die EU-Abgeordnete Salis auf Instagram besorgt über den Fall. Sie warnte, dass in Ungarn weder ein faires Verfahren noch menschenwürdige Haftbedingungen gewährleistet seien. Die Tatsache, dass Gino trotz über 20 Jahren regulären Aufenthalts in Italien die Staatsbürgerschaft verwehrt wurde, wertete Salis als Ausdruck systemischen Rassismus.

In Deutschland engagiert sich das Solidaritätsbündnis BASC für die Inhaftierten und Verfolgten im »Budapest-Komplex«. Es sieht die Verhaftung Ginos als Teil einer »europaweiten Hetzjagd« gegen Antifaschist*innen. »Wir verurteilen jegliche Auslieferung nach Ungarn – ob von Deutschland, Frankreich oder jedem anderen Land«, erklärte das BASC auf Anfrage des »nd« und nennt als einen der Gründe die mangelnde Unabhängigkeit der dortigen Justiz.

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