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Baustoff für die Zukunft
Der Regisseur Ersan Mondtag, eingeladen zum Theatertreffen, arbeitet auch als bildender Künstler. Die Galerie König in Berlin zeigt nun seine Werke
Ersan Mondtag, so viel lässt sich mit Bestimmtheit sagen, ist ein Theaterkünstler, der polarisiert. Seit er vor zehn Jahren mit seiner Inszenierung »Tyrannis« am Staatstheater Kassel erstmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden war, ist sein Name in der Theaterwelt ein Begriff. Die zweite Einladung zu dem Festival folgte 2019, und an diesem Wochenende wird im Rahmen des diesjährigen Theatertreffens seine Regiearbeit »Double Serpent« vom Staatstheater Wiesbaden zweimal gezeigt.
Nach Verkündung der Einladung im Januar dieses Jahres war nicht nur die Vorfreude der Mondtagianer zu vernehmen, sondern auch ein unübersehbares Augenrollen. Doch woran stören sich seine Kritiker? Kurz gesagt: Der Vorwurf lautet Ästhetizismus. Mondtag, so meinen nicht wenige, schaffe atmosphärische Bildwelten, könne sie aber nur bedingt inhaltlich und szenisch füllen. Einige halten die artifiziellen Bühnenrealitäten, die er schafft, gar für eine Masche, eine bloß modische außerdem.
Für jemanden, dem – nicht nur wohlwollend gemeint – eine große Nähe zur bildenden Kunst attestiert wird, ist der Ausflug in diese Schwesternkunst des Theaters nur konsequent. Im vergangenen Jahr hat er auf Einladung der Kuratorin Çağla Ilk gemeinsam mit Yael Bartana den Deutschen Pavillon bei der 60. Kunstbiennale von Venedig mit seinen Werken bestückt. Kein schlechter Einstieg, um sich ein neues Arbeitsfeld zu erschließen.
»Monument für einen unbekannten Menschen« ist der Titel von Mondtags Biennale-Beitrag. Und der unbekannte Mensch, das ist sein Großvater. Hasan Aygün, der in den 60er Jahren als sogenannter Gastarbeiter von der Türkei ins Wirtschaftswunderland Bundesrepublik einreiste und sein Arbeitsleben für den Aufschwung gab. In einer performativen Ordnung hat Ersan Mondtag ihm ein Ehrenbegräbnis in der Lagunenstadt bereitet. Nachholende Gerechtigkeit.
Den Werktitel hat er einem Gedicht Brechts entliehen: »Anleitung für die Oberen« aus dem »Lesebuch für Städtebewohner«. Des unbekannten gefallenen Soldaten, dichtet Brecht, wird gedacht »von London bis Singapore«. Und er schlägt vor: »Aber trotz alledem sollte man/ Vielleicht doch anordnen/ Daß dem unbekannten Mann/ Aus den großen Städten der bevölkerten Kontinente/ Endlich eine Ehrung bereitet wird.« Hasan Aygün ist der unbekannte Arbeitsmigrant des letzten Jahrhunderts, könnte man sagen.
Nun sind die Exponate aus Venedig, erweitert um neue Werke und versammelt unter einem neuen Konzept, in der Galerie König in Berlin zu sehen. »Asbest« ist die Ausstellung benannt. Asbest heißt auch das Material, mit dem Mondtags Großvater tagein, tagaus in Berührung kam. 28 Jahre lang. Er hat bei der Firma Eternit in Westberlin gearbeitet. Das schützende Dach über den bundesrepublikanischen Bürgerstuben hat ihn die Gesundheit gekostet. Schon bald nach dem Ende seines Berufslebens, er wollte in die Türkei zurückkehren, hat die Lunge ihm ihre Dienste versagt.
Mondtag hat von seinem Großvater, für jedes Arbeitsjahr eine, 28 überlebensgroße Büsten fertigen lassen, von denen einige in der Galerie ausgestellt sind. Erhaben wirkt das, würdig. Die Plastiken fußen auf Stelen, die mit dem ausrangierten Parkett eines längst geschlossenen Theaters in Sachsen-Anhalt verkleidet sind. Bodenständig, könnte man sagen. Hier wird nicht idealisiert: Die 28 Jahre haben gut sichtbare Spuren hinterlassen.
Einrichtungsgegenstände, Möbel, Versatzstücke von Zimmern sind als Installationen ausgestellt. Aus der Erinnerung sei das alles rekonstruiert, erklärt Mondtag. In die Küche habe er eine Durchreiche bauen lassen, obwohl es sie so nicht gegeben habe im Zuhause seines Großvaters. Es sei eine Reminiszenz an Arbeiterwohnungen in der DDR. Überhaupt macht Mondtag die eine oder andere Parallele zwischen den »Gastarbeitern« und den nach 1990 gleichsam in die Bundesrepublik migrierten Ostdeutschen aus.
Zahlreiche Eternit-Platten hat Mondtag bedrucken lassen. Sie zeigen die Gegenseite zur Erwerbsarbeit: Private Aufnahme, vor allem im Familienkreis, liefern das Bild eines glücklichen Mannes. Dazwischen findet sich aber auch eine Röntgenaufnahme beider Lungenflügel. Die Arbeit war für Hasan Aygün ein Aufstiegsversprechen, sie hat sich eingeschrieben in seinen Alltag und auch in seinen Körper.
Fast golden schimmern die Platten. Man muss nahe herantreten, um die Details der Aufnahmen zu sehen. Wie die Büsten erfährt der Großvater eine Überhöhung, ohne jeden ironischen Anklang, dennoch wird sein Schicksal dabei nicht geleugnet. Die Widersprüche finden so eine überzeugende Form.
Wer Ersan Mondtags Theaterarbeiten kennt, mag erstaunt sein über diese Ausstellung. Die schrillen Überzeichnungen und grellen Bilder seiner Inszenierungen finden in seinem bildkünstlerischen Werk keinen Platz. Gleich ist in beiden Schaffenswelten wohl der vorrangig konzeptionelle Zugang. Aber schon der Verweis auf den »unbekannten Menschen« lässt staunen, ist der Künstler bisher doch nicht als Anhänger Brechts aufgefallen (wenngleich er bereits eine »Dreigroschenoper« in Krakau auf die Bühne gebracht hat). Seine Regiearbeiten setzen vordergründig aufs Atmosphärische. Dass er ausgerechnet in der bildenden Kunst und in der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte zu einer stärker analytischen Verhandlung der Realität kommt, ist zumindest erstaunlich.
Ersan Mondtag: »Asbest«, bis 22.6., Galerie König, Alexandrinenstraße 118–121, 10969 Berlin.
»Double Serpent« beim Theatertreffen: 17. und 18.5.
www.berlinerfestspiele.de
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