Vertrauensfrage in Frankreich

Wie kann die Linke die Faschisierung bekämpfen? – Vorschläge für einen »sozialen Antifaschismus«

  • Bernd Riexinger*
  • Lesedauer: 6 Min.
War deutlich mehr als ein Parteienbündnis – die antifaschistische Mobilisierung des Nouveau Front Populaire bei den Parlamentswahlen in Frankreich 2024.
War deutlich mehr als ein Parteienbündnis – die antifaschistische Mobilisierung des Nouveau Front Populaire bei den Parlamentswahlen in Frankreich 2024.

Am 8. September will Ministerpräsident Francois Bayrou die Vertrauensfrage stellen, und in der französischen Linken gibt es – bis hin zu den Sozialdemokraten – keinen Zweifel daran, dass man ihm das Misstrauen aussprechen wird. Da auch die extreme Rechte gegen Bayrou stimmen will, scheinen die Tage seiner Regierung gezählt.

Obwohl der Zerfall des Macron-Lagers auch dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) nutzen dürfte, haben die Parteien links der Mitte allen Grund für ihr Verhalten. Denn Bayrou will die Renten einfrieren, bei der öffentlichen Gesundheitsversorgung kürzen und zwei Feiertage streichen. Aus Basisbewegungen heraus ist deshalb eine Initiative für einen Generalstreik am 10. September entstanden. Die Gewerkschaften haben für eine Woche später Streiks und Kundgebungen angekündigt.

Die französische Linke tut gut daran, den Sturz der Regierung Bayrou mit außerparlamentarischer Mobilisierung zu verbinden und dabei deutlich zu machen, dass es keine Gemeinsamkeiten mit der Rechten gibt. Viele befürchten, dass das »Regierungschaos« die Rechtsextremen schon bald an die Regierung bringen könnte. Das ist jedoch keinesfalls zwangsläufig – wenn auch die ursprüngliche Perspektive einer Volksfrontregierung gescheitert ist.

Die Faschisierung nicht unterschätzen

Die Frage, wie sich Linke gegenüber der politischen Rechtsverschiebung oder Faschisierung von Gesellschaft und Politik aufstellen sollte, stellt sich aber nicht nur in Frankreich, sondern auch hierzulande. Bekämpft man in erster Linie die rechtsextremen Parteien oder mobilisiert man – wie jetzt in Frankreich – entschlossen gegen den neoliberalen Status Quo?

Die von einer Regierung der extremen Rechten ausgehende Gefahr darf nicht verharmlost werden. Ende der 1920er Jahre wurde der heraufziehende Faschismus von KPD und SPD sträflich unterschätzt. Die Parteien versäumten es, eine linke Einheitsfront gegen den Faschismus zu organisieren. Schon wenig später gab es praktisch keine Spielräume für soziale Kämpfe und antifaschistischen Widerstand mehr.

Die linke muss eine gesellschaftliche Alternative sichtbar machen.

Diese Gefahr besteht auch heute. Dennoch darf das Problem der Faschisierung nicht auf die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten reduziert werden. Bei uns etwa bröckelt die sogenannte Brandmauer heute vor allem deshalb, weil der rechte Flügel der CDU inhaltlich nichts gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD einzuwenden hat. Autoritäre, nationalistische und sozialdarwinistische Tendenzen in der Union nehmen zu, zugleich schwindet die Gegenwehr von SPD und Grünen. Der Konsens der genannten Parteien für die bisher massivste militärische Aufrüstung der Nachkriegsgeschichte treibt die Militarisierung von Politik und Gesellschaft gefährlich voran. Merz beansprucht eine Führungsrolle von Deutschland – ungeachtet dessen, wohin das in der Geschichte bisher geführt hat.

Die m.E. überzeugendste Faschismusanalyse der 1930er Jahre – nämlich die des KPD-Theoretikers August Thalheimer – beschreibt den Faschismus als eine (terroristische) Form des Kapitalismus, bei der dieser seine politische Macht an die faschistische Massenpartei abgibt, um seine ökonomische Macht zu wahren. Auch wenn sich die Entwicklung heute von der Lage damals in vieler Hinsicht unterscheidet, bleibt diese Erkenntnis im Prinzip richtig: Der Faschismus ist keine Gegenbewegung zum Kapitalismus, sondern dessen Zuspitzung. Wer allein auf die extreme Rechte blickt, wird die Faschisierung nicht stoppen.

In diesem Sinne befinden wir uns heute in einer gefährlichen Übergangsphase, an deren Ende eine autoritäre Rechtsregierung oder gar eine neue Form von Faschismus stehen kann. Um dem etwas entgegenzusetzen, muss die Linke lange Linien und eine klare Strategie entwickeln.

Sozialer Antifaschismus

Meiner Ansicht kann der Begriff des »sozialen Antifaschismus« eine Idee davon vermitteln, wie die Faschisierung bekämpft werden kann:

  • Sozialer Antifaschismus muss die sozialen Ursachen der Rechtsentwicklung offenlegen, Widerstand gegen die Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialsysteme organisieren und mit dem Kampf gegen rechts verbinden. Das schafft die Voraussetzungen, um sozialdarwinistischen und ausgrenzenden Sicht- und Denkweisen entgegenzutreten.
  • Der teils katastrophale Zustand der öffentlichen Daseinsvorsorge ist ein starker Nährboden für die Rechten, weil Schlangen vor den Bürgerbüros, fehlende Kitaplätze, Mangel an bezahlbaren Wohnungen, monatelange Wartezeiten für Facharzttermine den Eindruck erzeugen, dass es abwärts geht. Wichtig wäre hier eine gute Erzählung über soziale und kulturelle Teilhabe, über die Bedeutung sozialer Infrastrukturen und deren Rolle für die Lebensqualität.
  • Sozialer Antifaschismus bedeutet weiterhin auch, den von der Rechten eröffneten Kulturkampf anzunehmen. Den traditionellen Bildern von Familie und Sexualität, dem Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus der Rechten gilt es, eigene emanzipatorische Vorstellungen entgegenzusetzen.
  • Die Linke muss den neoliberalen Charakter rechter Politik besser herausarbeiten und darüber aufklären, dass die extreme Rechte gegen gesetzliche Mindestlöhne, Mietpreisdeckelung, Besteuerung von Vermögenden und Flächentarifverträge und für die Auflösung des Renteneintrittsalters eintritt.
  • Entscheidend im Kampf gegen die Faschisierung wird sein, ob Die Linke eine glaubwürdige Erzählung entwickeln kann, wie sich die sozialökologische Transformation, wirksame Klimapolitik, Migration und interkulturelles Zusammenleben, Demokratisierung und Selbstbestimmung, Feminismus und Emanzipation verbinden lassen. Wir brauchen eine Erzählung, die die ökosoziale Transformation mit einem neuen Wohlstandsbegriff verknüpft, der es erlaubt, Veränderungen als Bedingung eines schöneren Lebens zu verstehen. Eine Erzählung, die die realistische Zukunftsvision einer weltweit solidarischen Gesellschaft entwirft und der sozialdarwinistischen Verrohungs- und Zerstörungslogik der Rechten widerspricht.
  • Bei all dem bleiben Bündnisse gegen rechts nach wie vor wichtig, um den Druck auf die Union aufrechtzuerhalten und sie an einer Koalition mit der AfD zu hindern.

Klassenkämpfe zuspitzen

Aktuell sieht es mit betrieblichen Kämpfen sowie mit sozialen und ökologischen Bewegungen eher bescheiden aus. Die Gewerkschaften, die traditionell nicht bereit sind, gegen eine Regierung zu mobilisieren, an der die SPD beteiligt ist, sind kaum wahrnehmbar. Doch Streiks, soziale und ökologische Kämpfe und außerparlamentarische Bewegungen bleiben unverzichtbar im Kampf gegen die Faschisierung. Sie sind es, die der rechten »Elitenkritik« die Grundlage entziehen. Voraussetzung für solche Kämpfe sind Verankerung und Machtaufbau im Alltag: in Betrieben, Stadtteilen, Schulen, Universitäten, Vereinen und im Kulturbereich. Dafür braucht die Linke einen langen Atem.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Weil der Kapitalismus die sich gegenseitig verstärkenden Dauerkrisen nicht lösen kann, muss Die Linke eine erkennbare Systemalternative formulieren. Auch die Partei- und Fraktionsführung der Linken bekennt sich rhetorisch dazu. Doch über die Forderung nach Umverteilung hinaus werden kaum Antworten geliefert. Verstaatlichung und Umverteilung sind noch lange keine Systemalternative. Demokratische Gemeinwirtschaft, die gesellschaftliche Aneignung der Ökonomie durch eine Mehrheit der Bevölkerung, die Überwindung sämtlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse und ein neues Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur – das wären elementare Bestandteile einer über den Kapitalismus hinausweisenden Politik. Sie müssen anhand konkreter Forderungen wie z.B. der Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen wie in der Berliner Kampagne »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« vorstellbar gemacht werden werden.

Um die Faschisierung zu stoppen, muss die Linke eine Alternative sichtbar machen. Die Mobilisierung in Frankreich zeigt, wie es gehen könnte. Der Widerstand gegen die neoliberale Austeritätspolitik ist dort Motor antifaschistischer Politik.

*Bernd Riexinger war 2012 bis 2021 einer der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.