Lettland pfeift auf Frauenrechte

Parlament in Riga stimmt für Austritt aus Istanbul-Konvention

Am Mittwochabend versammelten sich Tausende im Zentrum Rigas, um gegen den Austritt ihres Landes aus der Istanbul-Konvention zu protestieren.
Am Mittwochabend versammelten sich Tausende im Zentrum Rigas, um gegen den Austritt ihres Landes aus der Istanbul-Konvention zu protestieren.

Der Protest hat nichts genützt. Rund 5000 Menschen wollten am Mittwochabend in der lettischen Hauptstadt Riga verhindern, dass ihr Land den Schutz von Frauen zurückfahren will. Zuvor hatte sich bereits der Nordische Rat besorgt über die Entwicklung in Lettland geäußert. Doch weder der Aufruf der Skandinavier noch die Wut der Straße konnten in der Saeima, dem Parlament, etwas ausrichten. Mit den Stimmen von Opposition und der Regierungspartei Bündnis der Grünen und Bauern beschlossen die Abgeordneten den Austritt des baltischen Landes aus der Istanbul-Konvention.

Lettland hatte die 2011 ausgearbeitete Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt erst im vergangenen Jahr ratifiziert – sie trat dort am 1. Mai 2024 in Kraft. Der Rückzug aus dem Vertrag wäre der erste eines EU-Landes. Bisher trat lediglich die Türkei aus – menschenrechtlich ein zweifelhaftes Vorbild für Lettland.

Istanbul-Gegner warnen vor »Woke-Kultur«

Mit Rückzügen aus internationalen Verträgen kennt man sich in Riga aber aus. Im April beschloss Lettland gemeinsam mit den baltischen Nachbarn Estland und Litauen den Austritt aus der Ottawa-Konvention zum Verbot menschenfeindlicher Landminen. Begründet wurde das mit Russland, das je nach Politiker-Aussage morgen, übermorgen oder in ein paar Jahren über das Baltikum herfallen soll.

Auch in der Diskussion um die Istanbul-Konvention ging es nicht ohne Russland. Gegner des Austritts warnten vor einer rechtlichen Annäherung zwischen Lettland und Russland, was sich negativ auf das internationale Image des Landes auswirken werde. Selbstverständlich wurde auch vor einer russischen Desinformationskampagne gewarnt.

Befürworter eines Austritts aus der Konvention des Europarates erklärten, dass man sich im Kampf gegen die »Woke-Kultur« und Geschlechterfreiheiten an den USA orientieren müsse. Die Konvention fördere »Gender«-Theorien, hieß es weiter. Der Europarat hat entsprechende Vorwürfe in der Vergangenheit wiederholt zurückgewiesen. Die Austritts-Befürworter argumentieren zudem, dass der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen nicht geschwächt werde, da die nationalen Gesetze ausreichend oder sogar sehr viel besser seien. Wie genau, konnten sie hingegen nicht erklären.

Präsident muss noch zustimmen

Nun liegt es an Präsident Edgars Rinkēvičs, der die Parlamentsentscheidung mit seiner Unterschrift in Kraft setzen muss, da die Zweidrittelmehrheit verfehlt wurde. Er kann den Austritt durchaus hinauszögern, im Endeffekt aber kaum verhindern.

Während der Diskussion hatte Rinkēvičs die Kontroverse um die Konvention mit dem vorzeitig begonnenen Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Oktober 2026 in Verbindung gebracht. Diese Zeit sei von Nervosität geprägt, und die Parteien seien bestrebt, »originelle und interessante Ideen zu finden«, so der Präsident.

Am Freitag kündigte Rinkēvičs an, den Rückzugsentscheid des Parlamentes unter »staatlichen und juristischen, nicht aber ideologischen oder politischen Erwägungen« zu bewerten. Lettlands Ombudsfrau für Menschen- und Kinderrechte, Karina Palkova, ist überzeugt, dass Rinkēvičs die Unterschrift verweigern muss, da die Istanbul-Konvention den Werten der lettischen Verfassung entspreche. So werde anders, als die Gegner behaupten, die Geschlechtsumwandlung nicht propagiert, sagt Palkova.

Neue Proteste angekündigt

Bei Aktivisten ist das Entsetzen über die Abstimmung am Tag danach immer noch groß. Man habe nicht auf die Menschen in Lettland gehört, beklagte Beata Jonite von der Menschenrechtsorganisation Marta. »Wir werden nicht zulassen, dass wir uns von der lettischen Gesellschaft und jedem Opfer von Gewalt abwenden. Wir werden uns nicht mit der Aufkündigung der Konvention abfinden. Wir werden unsere Demokratie und die Menschenrechte schützen.«

Am kommenden Donnerstag wollen die Befürworter der Frauenrechte erneut in Riga auf die Straße gehen und irgendwie doch noch verhindern, dass ihr Land, das sich gerne als Verfechter europäischer Werte darstellt, diesen schweren Fehler begeht.

Dazu passende Podcast-Folgen:

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.