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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Mutige Frauen

Ein einzigartiges Kompendium des Widerstands

Unser Leben war von wenigen Siegen und zahlreichen Niederlagen gezeichnet«, resümierte Rossana Ros-sanda, die italienische Kommunistin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, die am 20. September dieses Jahres verstarb. An sie wird dankenswerterweise in diesem einzigartigen Kompendium auch erinnert, einer würdigen Hommage an mutige Frauen im Widerstand gegen faschistische Tyrannei und Barbarei in Deutschland und Europa.

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Florence Hervé (Hg.): Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg.
PapyRossa, 294 S., br., 7,90 €.

In der Literatur über den antifaschistischen Widerstand finden Frauen nach wie vor eher marginale Erwähnung, ihre Rolle wird meist geringer bewertet als die der Männer. Weil dem bewaffneten Kampf größere Aufmerksamkeit geschenkt wird? Gewiss. Vielleicht aber auch, weil Frauen - wie ich aus Gesprächen mit Veteraninnen weiß - zurückhaltender sind, sie ihre Geschichte selbst oft als »nicht so bedeutsam« empfinden. Aber warum eigentlich? Stille Hilfe für Verfolgte, Kurierdienste, Aufklärung und Agitation gar in den Reihen des Feindes waren tollkühn, ebenbürtig und überlebenswichtig. Es waren »die vielen kleinen Hände der Résistance, welche die kaputten Netze heimlich wieder zusammenflickten«, weiß Madeleine Riffaud, einst Mitglied der von der FKP gegründeten Francs-tireurs et partisans.

»Es waren schreckliche Zeiten«, erinnerte sich Rossana Rossanda. »Der Krieg nahm uns unsere Jugend«, beklagte die griechische »Kapetanissa« Maria Beikou. Frauen reflektieren die Jahre des Widerstandes anders als Männer. Nicht als Abenteuer oder Bewährungsprobe. Doch ungeachtet der unterschiedlichen Motive, patriotischer, religiöser oder weltanschaulicher, einte alle Antifaschisten und Antifaschistinnen die kompromisslose Verteidigung des Humanismus wider die unmenschliche Ideologie der Faschisten, egal ob deren »Führer« Hitler, Mussolini, Franco oder Ante Pavelić hießen.

Das Deutschland-Kapitel wird mit einem Porträt der Berliner Historikerin Regina Scheer über Marianne Baum eröffnet, die mit ihrem Mann Herbert eine jüdisch-jungkommunistische Widerstandsgruppe gebildet und am 18. Mai 1942 den spektakulären Brandanschlag auf die Goebbels’sche Hetzausstellung »Das Sowjetparadies« im Berliner Lustgarten verübt hatte - bei der »jedoch nur ein paar Meter Wandbespannung angesengt wurden«. Was bis heute immer wieder Dispute befeuert: War der Blutzoll für die als Fanal gedachte Aktion, die Verhaftung und Ermordung von mindesten 33 jungen Menschen, gerechtfertigt? Ein Urteil darüber steht meines Erachtens Nachgeborenen nicht zu.

Im Fall der 1938 von den Nazis ermordeten Studentin Liselotte Herrmann wiederum wurde immer wieder bestritten, dass sie - wie die KPD und später die SED kundtaten - die »erste deutsche Mutter« respektive »die erste deutsche Widerstandskämpferin« war, die von den Nazis hingerichtet wurde. Gewiss, dies ist nicht eindeutig belegt. Relevanter und - tatsächlich beschämend - ist indes die lange verweigerte Erinnerung an Liselotte Herrmann in Stuttgart, wo die gebürtige Berlinerin vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt worden ist. Noch 1988 (!) wurde das Ansinnen der Studenten der Stuttgarter Universität, ihr einen Gedenkstein auf dem Campus zu errichten, durch das Gutachten eines führenden westdeutschen Historikers, Eberhard Jäckel, vereitelt. In der DDR hingegen war ihr ein Poem gewidmet, von Friedrich Wolf verfasst und Paul Dessau vertont, waren Straßen, Schulen und Kindergärten nach ihr benannt und stiftete die Post eine Briefmarke zu ihrem Andenken. Traurig, aber wahr: Walter Herrmann, ein Jahr alt, als seine Mutter verhaftet wurde, wusste von ihr bis in seinen Lebensabend hinein fast nichts. Er lebte in Westberlin. In Berlin-Ost hätte man »Lilos Sohn« auf Händen getragen.

Die Porträts zeichnen starke, selbstbewusste, selbstbestimmte, emanzipierte Frauen. Dem aufmerksamen Leser wird die unterschiedliche Wertschätzung der überlebenden Widerstandskämpferinnen in beiden deutschen Nachkriegsstaaten nicht entgehen. Greta Kuckhoff beispielsweise, die mit ihrem Mann, dem 1943 ermordeten Schriftsteller Adam Kuckhoff, zu dem von der Gestapo als »Rote Kapelle« bezeichneten Widerstandskreis gehörte, wurde 1950 Präsidentin der Deutschen Notenbank der DDR. Welche Frau des Widerstandes (und generell) schaffte es in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik in eine vergleichbar hohe Funktion? Die Erinnerungen der aus einer katholischen Familie stammenden Kommunistin, »Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle«, erlebten mehrere Auflagen in der DDR. Ebenso die Bücher von Dora Schaul, die im französischen Exil unter falscher Identität im gleichen Gebäude arbeitete wie Klaus Barbie und der Résistance eine Liste der Gestapo-Mitarbeiter zuschanzte, die damals über Radio London publik gemacht wurde und Jahrzehnte später zur Identifizierung des »Schlächters von Lyon« beitrug. Dora Schaul, die in der DDR als Historikerin am Institut für Marxismus-Leninismus arbeitete, war 1987 Nebenklägerin im Prozess gegen den von Beate und Serge Klarsfeld in Bolivien aufgespürten Barbie.

Erfreulich, dass auch der 1941 in Plötzensee ermordeten Journalistin Ilse Stöbe, »vielleicht die schillerndste Figur unter den Frauen des deutschen antifaschistischen Widerstands« (Cristina Fischer), gedacht wird. Die zeitweilige Lebensgefährtin von Rudolf Herrnstadt, dem späteren (1953 in Ungnade gefallenen) Chefredakteur des »Neuen Deutschland«, erfuhr erst 2014 die ihr gebührende Anerkennung durch das Auswärtige Amt, in dem sie zu Zeiten des Nazi- und Kriegsverbrechers Joachim von Ribbentrop heimlich Informationen für den sowjetischen militärischen Geheimdienst, GRU, sammelte, unter anderem vor dem Überfall auf die Niederlande und die Sowjetunion warnte. In der Bundesrepublik ist über Jahrzehnte nicht akzeptiert worden, dass jede Tätigkeit für die Sowjetunion damals ein Beitrag zur Stärkung der alliierten Front war.

Beim Lesen der Porträts stößt man auf unerwartete Verschränkungen. Überraschend taucht noch ein weiteres ehemaliges Mitglied der ND-Chefredaktion auf: Rudolf Feistmann, der 1950 im Zuge der sogenannten Noel-H.-Field-Affäre unter Verdacht geriet und tragischerweise Suizid beging. Er war im mexikanischen Exil Partner der Schweizer Widerstandskämpferin Gertrud Duby-Blom, die vor ihrem Tod 1993 - ähnlich Rossana Rossanda - notierte: »Mein Leben ist übervoll von verlorenen Kämpfen: Gekämpft gegen die Nazis … und jetzt beleben sich die faschistischen Tendenzen auf dem ganzen Planeten … Ich kämpfte um ein besseres Leben für alle und nicht um das bessere Leben nur einer privilegierten Elite. Und ich stelle fest, dass es in der Welt mehr Hungernde als jemals zuvor gibt.« Trotz alledem: Sie leisteten Unvergessliches, diese mutigen Frauen.

Gewiss, die Auswahl hier ist subjektiv, selektiv. Natürlich fehlt nicht die baskische Bergmannstochter Dolores Ibárruri, die legendäre »Pasionaria«. Auch nicht die 18-jährige Moskauer Schülerin und Partisanin Soja Kosmodemjanskaja, 1942 von den Nazis erhängt. Auf das grausige Foto von ihrem geschändeten Körper, das Tausende Freiwillige in die Rote Armee trieb, verzichtete die Herausgeberin. Man schaut in das liebe Gesicht eines Mädchens. Im Frankreich-Kapitel vermisst man aber Cécile Rol-Tanguy und Lise Ricol-London, die nicht nur berühmte Männer an ihrer Seite hatten: Henri Tanguy, Führer des Aufstandes in Paris im August 1944, und Artur London, Spanienkämpfer und nach dem Krieg Vizeaußenminister der ČSSR, bevor er in die Mühlen des Slánský-Prozesses geriet. Beide Frauen nahmen Führungspositionen im bewaffneten Widerstand wahr, als Capitaine und im Stab der Forces françaises de l’intérieur (FFI). Lise starb 2012, Cecile am 8. Mai dieses Jahres. Es gäbe viele weitere Frauen des europäischen Widerstandes zu würdigen. Eine Fortschreibung ist daher wünschenswert. Dafür sollte es staatliche Forschungsgelder geben. Denn, wie Florence Hervé zu Recht vermerkt: »Widerstand gibt Mut für die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, mit Rechtsextremismus und Neofaschismus, mit Kriegspolitik und sozialem Unrecht. Für Frieden und Gerechtigkeit und für eine solidarische Gesellschaft.«

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