»Der Systembruch geschieht überall«

Am Samstag hat in Berlin das Stück »Schwarzer Block« Premiere. Ein Gespräch mit dem Autor Kevin Rittberger

  • Lesedauer: 6 Min.

Ihr neuestes Stück heißt »Schwarzer Block«. Worum geht es?

Es geht um linksradikale Bewegungen der vergangenen einhundert Jahre. Ich beginne mit dem Widerstand gegen den Kapp-Putsch, mit getöteten Antifaschist*innen auf der Barrikade am Kottbusser Tor in Berlin. Und ende in der Gegenwart. Der Text ist ein Erinnerungstext: Vorwärts und nicht vergessen! Ich habe Stimmen und Erfahrungen gesammelt und verschiedene Aktivist*innen befragt. Der schwarze Block, jenseits der konkreten Demonstrationspraxis, wird bei mir zum Ende metaphorisch. Der kann auch lila sein oder tute bianche.

Bekannt ist der schwarze Block von Demonstrationen: als ein Auftreten, das kollektive Aktionen und Massenmilitanz ermöglicht - auch im Bereich dessen, was gegenwärtig strafbar ist.

Es geht um Massenmilitanz, aber auch um eine kollektive Agenda. Um Hegemonie zu erlangen. Ich habe einen kunsthistorischen Begriff für meinen Text hinzugezogen: das Krakelee. Der wurde auch für das »Schwarze Quadrat« von Kasimir Malewitsch verwendet: Wenn eine scheinbar geschlossene zweidimensionale Fläche durch das Auftreten von Rissen dreidimensional wird, das Farbfeld platzt auf, man sieht die Brüche. Mich interessiert nicht nur die Uniformität, sondern auch die Differenz. Und das geht schon mit den anarchosyndikalistischen Schwarzen Scharen in den frühen dreißiger Jahren los, einem ersten massenmilitanten Block.

Wogegen und wofür standen diese Schwarze Scharen?

Gegen den Faschismus. Neben Reichsbanner von SPD und Rotfrontkämpferbund von KPD waren die Schwarzen Scharen zahlenmäßig nicht besonders stark, aber sie standen für eine anarchosyndikalistische Utopie, die bis heute unabgegolten ist. Das ist die Annahme, dass die nationalen Parlamente fragwürdig sind, dass es mit Rätedemokratie, Genossenschaften und Syndikaten, also Formen der Selbstverwaltung, gerechter zuginge. Wenn ich mir heute die Diskussion über Commons anschaue, die weitaus moderater ist, so ist dieses Unabgegoltene darin trotzdem enthalten. Es geht um das Dritte zwischen Privat und Staat. Die Anarchosyndikalist*innen wollten nicht die Diktatur des Proletariats errichten, sondern die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen.

Nun tauchen in dem Stück nicht nur die Schwarzen Scharen, sondern auch die Antifa und die Autonomen auf. »Antifaschistische Aktion, her zu uns!«, hieß es auf einem Plakat mit dem stilbildenden Logo - 1932 auf Initiative der KPD.

Es gab damals zu spät brüchige Bündnisse zwischen etatistischen Kräften wie SPD und KPD und Anarchosyndikalist*innen. Weil die KPD mit der Sozialfaschismusthese oder dem Schlageter-Kurs aufwartete und die SPD nicht selten den Schießbefehl gab - Liebknecht und Luxemburg, Rote Ruhrarmee oder der Blutmai 1929. Ein nachhaltiges Zerwürfnis. Als sich die linken Kräfte endlich unter dem Banner der Antifaschistischen Aktion zusammenfanden, war es zu spät.

Wie lassen sich Bündnisse zwischen politisch widerstrebenden Kräften finden? Und wie können Einheit und Differenz im gemeinsamen politischen Handeln bewahrt bleiben?

Ja, diese Fragen begleiten uns seit der Antiglobalisierungsbewegung. Wie versucht eine neue Linke, verschiedene Grundwidersprüche zusammenzubringen und nicht gegeneinander auszuspielen? Oder die zeitliche Differenz: Für die einen ist noch Zeit, für die anderen schon höchste Zeit. Der schwarze Block steht für Ungeduld und Vehemenz - im Vergleich zu den Reformist*innen. Da unterscheiden sich heute Neoanarchist*innen, Insurrektionalist*innen, Rioters von den Commonist*innen, die Transformationsprozesse in längeren Zeiträumen denken.

Wo taucht der schwarze Block noch auf?

Ich springe mal in die Mitte der achtziger Jahre nach Frankfurt am Main. Ein konkretes Ereignis: der Protest gegen den Parteitag der NPD, bei dem der Schlosser und Sozialarbeiter Günter Sare von einem Polizeipanzer getötet wird, woraufhin ein schwarzer Block die Frankfurter Innenstadt entglast. Auch in Göttingen gab es eine solche Szene, in der ein autonomes und antifaschistisches Selbstverständnis herrschte. Und die Ostberliner Antifa durfte 1989 nicht beim offiziellen antifaschistischen Gedenkmarsch mitlaufen.

Zugleich verbinde ich solche Ereignisse mit den Namen der Ermordeten von Hanau oder der Opfer des NSU, die in meinem Text wie Einsprengsel vorkommen. Ich trage diese Namen in den gleichen Erinnerungstext ein wie die Kämpfer der Barrikade am Kottbusser Tor. Schwarzer Block, Antifa, Antira, Migrantifa werden bei mir gebündelt, bevor sie erstmals gemeinsam auftreten, nämlich 2019 bei »We’ll come united« in Dresden. Ich gehe mit großen Sprüngen durch einhundert Jahre Geschichte. Aber am Ende meines Textes traue ich mich, einen zukünftigen schwarzen Block zu antizipieren, der all die Kämpfe der Vergangenheit vereint, plural und bunt.

Was würde der schwarze Block der Zukunft wollen, welche Ziele hätte er?

Er wäre um die Klimabewegung reicher geworden. Und um den Queerfeminismus. Und um den Antirassismus. Und den Schwarzen Marxismus, der gerade neu entdeckt wird. Das Ziel wäre der Bruch mit dem kapitalistischen System. Die Frage ist, in welchem Zeitraum, auf welcher Basis und mit welchen Mitteln dieser Bruch zu erreichen ist.

Autonome und Antifa diskutieren seit Jahrzehnten, wie es um die eigene Praxis steht. Rückzug in die Hausprojekte und autonomen Räume oder staatlich geförderte Projekte einerseits, andererseits die Absicht einer großen Veränderung.

Die ehemals verfeindeten Strategien von Reform und Revolution sehe ich sich einander annähern. Es geht nicht mehr um das eine Ereignis, sondern bereits jetzt werden Dinge erprobt, die skaliert werden können. Da braucht es eine neue Begriffsbildung, wie sie teilweise in postautonomen Debatten stattfindet. Der Systembruch kann sich lokal auch immer anders darstellen, er geschieht dezentral, aber überall.

Teile des Staates bekämpfen den schwarzen Block. Auf Demonstrationen ist mit Festnahmen und Ermittlungsverfahren zu rechnen. Ist das eigentlich noch die passende Strategie?

Einerseits wird der Versuch, die linke und linksradikale Bewegung zu kriminalisieren - wie mit einem Verbot der Antifa -, bis weit in die Mitte der Gesellschaft getragen und findet Platz in jeder Fernsehtalkshow. Und gleichzeitig wird die Antifa auch in der bürgerlichen Presse für ihre Aufklärungsarbeit gelobt oder gar vom Verfassungsschutz zitiert. Das ist janusköpfig, je nach Wetterlage. Aber es gibt ohnehin auch andere Strategien, Schlagwort Dezentralität, wie die Finger-Taktik bei Demonstrationen. Dass Dresden 2011 nazifrei war, ist massenhaftem Ungehorsam zu verdanken.

Muss der Begriff des Faschismus geschärft werden? Es gibt ja verschiedene Theorien, eine, die sich auf Diskurse und Sprechakte konzentriert, während eine andere Eigentums- und Produktionsverhältnisse sowie Sozialpsychologie einbezieht.

Für mich gilt noch immer mit Herbert Marcuse, dass der Faschismus aus dem Liberalismus heraus entstehen kann. Und zwar indem die Eigentümer und Besitzstandswahrenden politische Rechte aufgeben, um wirtschaftlich den Status quo zu erhalten oder zu expandieren. Das ist für mich eine weiterhin gültige Analyse, daran muss sich jeder Antifaschismus messen.

Welche Form findet der schwarze Block in Ihrem Stück?

Was ich versuche, ist, starke Stimmen zu finden, die einen angehen. Im Theater ist es möglich, dass es durch den Körper geht. Beim Aufbau habe ich mich an einer Symphonie von Schostakowitsch orientiert, eine Struktur in vier Sätzen, in der Heterogenität und Vielstimmigkeit ihren Platz finden. Ich habe versucht, aus der Bewegung heraus zu sprechen. Und die Sprache zu rhythmisieren, damit verschiedene Pulsschläge spürbar werden. Inklusive der Gegenbewegung, ein Polizist und ein Anführer einer faschistischen Bewegung kommen zu Wort. Die Zuschauer werden konfrontiert mit diesen Energien, Parolen, Bewegungen. Dazu kann man sich verhalten. Und vielleicht möchte man mithüpfen und -schreien oder am liebsten nur die Polizei rufen, das ist alles möglich.

»Schwarzer Block« von Kevin Rittberger, inszeniert von Sebastian Nübling. Premiere am kommenden Samstag, 5. September im Maxim Gorki Theater in Berlin

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